Georg Madorn fluchte. Wenn von Felberstein ihn persönlich in sein Büro zitierte, dann bedeutete das nichts Gutes. Normalerweise wickelte er seine leitenden Angestellten über Telepräsenz ab. Außer vielleicht die „Aphrodite" - Mascha Fouquet. Kaum hatten sich die Aufzugtüren zur von Felberstein'schen Privatsuite geöffnet, drang auch schon ihr verdammtes Parfüm in seine Nase. Trotz seiner miesen Stimmung bewirkte der Geruch eine Bereitschaft zur Kooperation. Er konnte und wollte von Felberstein und die Leute die er repräsentierte nicht enttäuschen. In der Hierarchie war noch ein wenig Luft nach oben. Dort befand sich eine Welt, die besser war als das beste Koks und die fantasievollste Geliebte. Eine Welt der Macht und des weltweiten Einflusses. Seine zukünftige Welt.
Er betrat die Lounge und setzte sich auf einen der Ledersessel die um einen Mahagoniholztisch arrangiert waren. Sanft euphorisierende Loungemusik plätscherte kaum wahrnehmbar aus unsichtbaren Lautsprechern. Natürlich wusste Madorn warum er hier war. Dr. de Boniño hatte den Kontakt zu seinem Sohn verloren und seine Anrufe bei den "befreundeten" Militärs waren nicht mehr durchgestellt worden. Zum ersten Mal seit Jahren tappte Madorn im Dunklen. Er wusste nicht was los war. Er war verraten worden. Von wem? Angestellte, die auf seinen Stuhl wollten, gab es genug, auch wenn diese Affen sich keine Vorstellung davon machten, was der Posten eines Hauptabteilungsleiters bedeutete. Jeder Gewinn der Firma war wie ein Morphiumrausch, aber auch die Verluste fühlten sich an als würde einem höchstpersönliche ein Liter Blut abgezapft. Madorn hatte zwei Freunde auf der Welt: 25-jährigen Dalmore Single Malt und einen Magen aus Hartgummi. Wie gut, dass eine Flasche davon in der Minibar stand. Er erhob sich gerade, um sich ein Glas einzuschenken, als Mascha Fouquet den Raum betrat. Sie trug einen schwarzen Bleistiftrock aus Seidensamt und eine leicht taillierte graue Bluse. Ihre Lippenstift wirkte schwer und teuer, mit genau dem richtigen Hauch von Nuttigkeit, der in Chefetagen gerne gesehen wird. Hochhackigen Ledersandalen waren mit schwarzen Bändern um ihre eleganten Fesseln geschnürt. Sie trat so nah an Madorn heran, dass er den dünnen Schweißfilm auf ihrem Dekolleté riechen konnte.
"Er wartet schon auf Sie", hauchte sie mit einem koketten Blick.
„Wenn von Felberstein einmal nicht mehr ist, warte ich auf dich!", interpretierte Madorn den Subtext.
Er musste all seine Konzentration aufbringen um sie nicht einfach auf den Sessel zu stoßen und ihr die Kleider vom Leib zu reißen. Wie würde sie wohl schmecken, wie würde sich ihr perfekter Arsch unter seinen Händen anfühlen?
So gut er konnte spielte er den Profi. Dabei fühlte er sich wie ein Kugel Vanilleeis auf einem texanischen Highway.
Mascha Fouqet stolzierte voran und ihr duftendes Haar wies ihm den Weg.Von Felberstein saß hinter seinem gigantischen Schreibtisch und hämmerte mit seinem Siegelring auf dem edlen Holz herum. Rechts neben dem Schreibtisch stand ein hochrangiger Soldat der interzonalen Streitkräfte. Außerdem bemerkte Madorn Aufsteller mit den Flaggen der alten Bundesrepublik und den Freien Interzonen, die sonst nicht auf dem Schreibtisch standen.
"Alter Stratege", dachte er bitter.
"Setzen Sie sich, Herr Madorn."
Von Felberstein sprach den Namen noch degoutierter aus als sonst. Kaum hatte sich Madorn gesetzt fuhr er im barschen Ton fort.
"Das, Herr Madorn", er deutet auf den Unifomierten, "ist Generalleutnant Hartzel von der Hauptkommandantur. Ein alter Freund."
Madorn bemühte sich dem Militär nüchtern zuzunicken.
"Kommen wir gleich zur Sache. Generalleutnant Hartzel?"
Der Uniformierte räusperte sich und verschränkte die Arme vor der Brust.
„Vorgestern haben wir einen jungen Mann am Checkpoint Heiligensee aufgegriffen. Er hat versucht illegale Netzwerktechnologie in die FRB zu transportieren. Er berief sich auf Ihren direkten Untergebenen Dr. de Boniño und damit auf Sie."
Madorn entschied die Karten auf den Tisch zu legen, zumindest was den versuchten Schmuggel anging.
"Ja, das mag wohl sein. Es ist eine Strategie meiner Abteilung auch außerhalb der Interzone Kontakte zu pflegen ..."
Von Felbersteins Siegelring knallte auf den Tisch.
"Eine Strategie Ihrer Abteilung? Sind sie wahnsinnig geworden, Mann? Wieso weiß ich nichts von dieser ‚Strategie'?"
"Bei allem Respekt, Herr von Felberstein, ich informiere den Aufsichtsrat und die Geschäftsleitung nicht über jede Operation, die zum Erreichen der Firmenziele nötig ist. Ich nahm bisher an, dass die Ausfuhr von Netzwerktechnologie ein Kavaliersdelikt ..."
Jetzt war es der Militärkommandant der lospolterte.
"Kavaliersdelikt! Lesen sie keine Zeitung, Herr ..."
„Madorn", sekundierte Frau Fouquet charmant.
"Wie dem auch sei ... Wir haben vor fünf Tagen den Ausnahmezustand verhängt. Es besteht eine totale Ausfuhrsperre von IT-Technologie aus der Interzone. Selbst ein beschissener Kurzwellenempfänger mit Babyzellen wird sofort konfisziert. Außerdem ist Ihr Mitarbeiter anschließend irgendwo in der FRB verschwunden."
Von Felberstein stöhnte kurz auf, dann funkelte es in seinen Augen.
"Herr Madorn, Ihnen ist angesichts der Situation hoffentlich klar, dass ich Sie mit sofortiger Wirkung freisetzen muss? Der Wachschutz wird Sie nach draußen geleiten und Ihnen die Codekarten für das Gebäude und den Dienstwagen abnehmen. Ihre privaten Unterlagen werden Ihnen in den nächsten Tagen zugeschickt."
"Aber ... warum denn Ausnahmezustand?"
Madorn war klar, dass er nichts tun konnte. Wenn er behauptete, dass von Felberstein eingeweiht gewesen war, würde der alles abstreiten und seine Anwälte auf ihn hetzen. Er hatte auf eigenes Risiko gehandelt. Das Einzige was ihm jetzt noch blieb war der geordnete Rückzug und die Hoffnung, dass von Felberstein sein Bauernopfer nicht vergessen würde.Ehe er sich versah stand er auf der Plaza vor der Konzernzentrale. Jetzt würde er genug Zeit haben die Zeitungen und Newsfeeds zu durchstöbern, um herauszufinden was eigentlich los war. Und um eine neue Strategie zu entwickeln. Während er zur interzonalen Busstation ging, dachte er noch einmal an Mascha Fouquet, die jetzt für immer unerreichbar war. So gesehen konnte man ihren Blick in der Lounge als Abschied werten. Der Abschied einer Schwarzen Witwe.
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Welt 3
Science Fiction2042 - Berlin und andere europäische Großstädte haben sich in sog. Interzones abgeschottet, in denen die digitale Bohème, das Kiez-Proletariat, HiTech-Konzerne und das Militär koexistieren. Die Freie Region Brandenburg ist ein wüstes Land, in dem di...