Die wwoofer

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Paul sah in den Rückspiegel und betrachtete missmutig die verbeulte Stahljalousie, die hinter ihm nach unten ratterte. Für einige Sekunden war er im Niemandsland zwischen Berlin und Brandenburg, in einer Garage, die als Schleuse zwischen den verfeindeten Regionen diente. Rechts von ihm blinkte ein rotes Lämpchen an einer Überwachungskamera und an den Wänden waren die unvermeidlichen Kloschmierereien zu sehen.
"Wir sind die Eingeborenen von Bizonesien" und "Der Süden wird sich erheben!", um mal nur die politisch motivierten zu zitieren.
Auf dem Boden lagen verrostete Fahrzeugteile und zerbeulte Ölkanister. Das Lämpchen an der Kamera ging aus und die Jalousie vor ihm glitt – mit einem vorwurfsvollen Quietschen – langsam nach oben. Er startete den Wagen und fuhr in das verregnete Grün des Tegeler Forstes. Ein paar Windräder zogen müde ihre Kreise. Bis er auf die Transferstraße A24 gelangte musste er vier militärische Checkpoints passieren. Ein zehn Kilometer breiter Ring um die Stadt war militärisches Speergebiet. Obwohl Brandenburg zum größten Teil von der Netzkommunikation abgeschnitten war, sollte niemand zu nahe an die Stadtmauern gelangen. Es konnte immer etwas durchsickern, was für Interzonegegner einen strategischen Vorteil bieten konnte. Hier gab es nur Biobauernhöfe, schmutzige Eier, Milch mit Haut und Bäckereien die um 11 Uhr vormittags schlossen. Für Paul eine lebensfeindliche Umgebung, in der er früher oder später verhungern würde. Auf dem Rücksitz hatte er eine Schachtel mit Donuts, Beef Jerky und sechs Literflaschen Fructozade stehen, die ihm durch die zwei Tage helfen sollten. Die Straße war in überraschend gutem Zustand. Die regennasse Fahrbahn und das milde Licht entspannten ihn. Er dachte über das nach, was er in Dr. de Boniños schriftlichem Briefing über die defekten Roundups und die Probleme auf den Industriefarmen gelesen hatte. Er fand es nicht verwunderlich. Seit ein paar Tagen verkomplizierten zahlreiche Störfälle im Web das sonst so angenehme Leben. Telefone klingelten plötzlich, kryptische Nachrichten von Netzdienstleistern landeten auf dem Slate, Videofeeds waren von heftigen Bildstörungen betroffen und Eltern fanden ihre verstörten Kinder vor Hardcore-Porno-Clips auf ihren Digitoys. Warum sollten ausgerechnet die hochgezüchteten kybernetischen Netzwerke der Firma Ludicorp verschont bleiben? Laut Dr. de Boniño war die Situation ernst und von höchster Stelle war die Order ergangen menschliche Befruchtungs- und Ernteexperten auf den Weizen- und Maisfelder einzusetzen. Absurd! Anachronistisch!
Beinahe hätte er die Ausfahrt bei Wittstock verpasst, aber da sonst niemand unterwegs war, konnte Paul noch schnell über drei Fahrbahnen nach rechts ausscheren.


In der Gegend um Perleberg bog er auf die "Dorfstraße" ein, in der sein erstes Ziel lag: Die Organic Farm "Klaus Wowereit", benannt nach einem ehemaligen Bürgermeister Berlins, der ungewöhnlich hedonistisch gewesen sein soll. Es hatte mittlerweile aufgehört zu regnen und vor dem ein oder anderen Haus saßen altmodisch gekleidete Rentner, die rauchten und ihm träge hinterher blickten.
Als er in die Einfahrt zu einem größeren Gelände mit Ställen, Silos und mehreren Wohnbaracken fuhr, sprang ein junger Mann mit Dreadlocks und einem Sturmgewehr vor sein Auto. Fluchend bremste Paul und stellte den Wagen aus. Demonstrativ hob er die Hände und versuchte ein harmloses Lächeln. Der Rasta-Typ schielte finster über das Mündungsrohr seiner Waffe hinweg und näherte sich dem Wagen.
Paul war nervös und versuchte sich an die Verhaltenskodizes für eine solche Situation zu erinnern. Wie alle Interzone-Bewohner hatte eine militärische Grundausbildung genossen und sie eben so schnell wieder vergessen. Er holte dreimal tief Luft und ließ dann langsam die Fensterscheibe heruntergleiten.
"Bist'n du?" stieß der Rasta hervor. Er kaute auf irgendwas gummiartigem herum und roch streng - nach Dung und Kiff.
"Paul Madorn - Ich bin ein Angestellter der Firma Ludicorp. Wäre es möglich den ... ", er überlegte kurz wie die korrekte Bezeichnung lauten mochte, " ... obersten Genossen zu sprechen?"
"Sowat ham wa nich' ... Wat willst'n?"
"Nun, ich bin von der Ludicorp ermächtigt Ihnen und Ihren Produktionsgenossen – entsprechende Eignung vorausgesetzt – ein großzügiges Angebot für eine befristete Tätigkeit in der Interzone Berlin zu machen ... "
"Wir sin' wwoofer, keine Genossen", entgegnete der Rasta knapp.
„Wie auch immer ... hören Sie, die Waffe macht mich ziemlich nervös, könnten wir vielleicht ...?"
Der Rasta stieß einen Pfiff aus und gab jemanden auf dem nahe liegenden Wellblechdach ein Zeichen. Dann ließ er die Waffe sinken.
"Kannst dahinten neben dem Hänger parken. Wir versamm'ln ma' die janze Truppe ... "

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