Farmleben

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Die Organic Farm "Daniel Barenboim", in der Paul gelandet war, befand sich circa zwanzig Kilometer nördlich von Pritzwalk in der Nähe von Wendisch Priborn. Auf der Farm war viel zu tun. Tomaten, Paprika, Gurken und Kohl wurden gepflanzt und Rettich, Kohlrabi und Rhabarber geerntet.[ Es ist August !!!] Unkraut musste gerupft und Feldwege instand gesetzt werden. Obwohl er sich bemühte und hart schuftet, war schnell klar, dass er zu den langsamsten und ungeschicktesten Arbeitern gehörte. Die anderen wwoofer bemühten sich, ihn das nicht so stark spüren zu lassen, aber er sah es in ihren Blicken, besonders in denen der Frauen. Er stand in der sozialen Rangordnung ganz unten. Und die Tatsache, dass es offiziell keine Rangordnungen gab, machte es nur noch Schlimmer. Nachdem eine Woche vergangen war, fasste sich Paul ein Herz und ging nach dem Abendessen zu Szymon und seinen Leuten.
"Hey Szymon, wie läuft's?"
Szymon grüsste freundlich und zwinkerte ihm zu. Dann drehte er sich wieder zu seiner Gesprächspartnerin um. Paul ließ sich nicht beirren und setzte sich auf einen freien Stuhl. Glücklicherweise hatte er sein Bierglas mitgenommen, so dass er sich nicht ganz so verloren fühlte. Als klar war, dass Szymon ihn nicht weiter beachten würde, räusperte er sich laut.
"Szymon, ich muss mit dir über meine Arbeit reden!"
Szymon drehte sich zu ihm und blickte ihn leicht genervt an.
"Gerne, sprich mich doch morgen im Büro noch mal an."
Gerade wollte Paul sich bedanken und aus dem Staub machen, da fiel ihm ein, dass das haargenau die Floskel war, mit der ihn sein Vater immer vertröstet hatte. Er ballte die Hand unter dem Tisch zu einer Faust und blickte Szymon fest an.
"Würde ich gerne machen, aber tagsüber haben wir alle eine Menge Arbeit. Wenn es nichts ausmacht würde ich diese Angelegenheit gerne jetzt besprechen."
Jetzt hatte er Szymons Aufmerksamkeit.
"Gut, dann lass uns mal kurz nach draußen gehen."
Szymon gab der Frau neben ihm einen Kuss auf die sensible Stelle unter dem Ohrläppchen und berührte ihre Schulter.
"Bin gleich wieder da, Natalia."
Paul konnte nicht umhin die maskuline Präsenz dieses Mannes zu bewundern. Früher hätte man "Alpha-Männchen" dazu gesagt. Er ließ sein Bierglas stehen, stellte sich vor Szymon und deutet Richtung Tür.
"Nach dir, Szymon."
Damit war der symbolische Krieg um die Rangordnung eröffnet. Szymon blitzte ihn an, ging dann aber forsch nach Draußen.
Die Luft war warm und roch nach frischem Gras, Dung und Sommer. Eine herrliche Nacht.
"Sorry, Szymon, aber das konnte nicht warten. Die anderen werden dir sicher berichtet haben, dass ich kein Genie bei der Feldarbeit bin?"
Szymon winkte ab und wollte etwas erwidern, aber Paul unterbrach ihn.
"Du brauchst nichts zu sagen. Ich bin kein Blödmann weißt du? Ich kenne meine Fähigkeiten und die liegen sicher nicht im Unkraut jäten ..."
"Ach was?" Jetzt wirkte Szymon verärgert. „Der Fokus unserer Farm liegt auf der harten landwirtschaftlichen Arbeit. Was hast du denn gedacht?"
"Nun, ehrlich gesagt, habe ich nicht viel nachgedacht. Ich hatte ... keine andere Wahl?"
"Keine Wahl, hm? Und wie willst du dir deinen Lebensunterhalt bei uns nun verdienen?"
"Ich dachte, ich könnte mich vielleicht in eurem "Management" nützlich machen. Organisation und Kommunikation. Logistik und Prozessabläufe."
"Und was verstehst du davon? Hast du an der Universität Pritzwalk studiert?"
Das war sarkastisch gemeint.
"Nun, ehrlich gesagt komme ich gar nicht aus Pritzwalk ... ich komme eigentlich ..."
"... aus Berlin. Das wissen wir bereits, Paul Madorn. Weißt du, wir sind vielleicht alternativ und nachhaltig, aber nicht blöd. Dein Gesicht ist hier bekannt. Du warst der Unterhändler für Ludicorp. Was wir nicht wissen ist, warum du jetzt als abgerissener Kiezer wieder aufgetaucht bist."
Paul trat einen Schritt zurück und setzte sich auf einen der Baumstümpfe die im Innenhof als Hocker dienten. Seine Tarnung war so schnell geplatzt? Warum hatten sie ihn trotzdem hier arbeiten lassen? Hatten sie ihn beobachtet? Natürlich. Die ganze Zeit hatten sie vermutlich überlegt, was er wohl hier vorhatte.
"Na, hat es dir die Sprache verschlagen, Paul? Wie wäre es wenn du jetzt mal ein bisschen aus dem Nähkästchen plauderst. Ich denke, wenn du schon hier spionierst, ist das jawohl das Mindeste."
Paul lächelte.
"Nun, das könnte etwas länger dauern. Sag deiner Freundin lieber mal, dass das heute Nacht nichts mehr wird mit dem tête-à-tête ..."

***

"Na, das ist ja mal eine interessanter Plot„, sagte Szymon nachdem Paul mit seiner Geschichte fertig war. "Zwei Dinge bringen mich zum Nachdenken: Warum haben sie dein WiMax-Equipment gefilzt und warum wollte der Major dich nicht dabehalten?"
"Der Major?", fragte Paul.
„Major Perdelwitz. Der Kommandant der Militäranlage "Liebenberger Bruch". Das große Rectenna-Feld. Er hat eine gewisse Berühmtheit aufgrund seiner Zero-Tolerance-Strategie erlangt ... Egal. Jedenfalls scheinst du ziemlich heiß zu sein, wenn er dich im hohen Bogen rausgekickt hat."
Paul ignorierte den letzten Satz und hoffte, dass Szymon den Gedanken nicht weiterverfolgte. Stattdessen sagte er:
"Warum glaubst du sind die so streng mit dem WiMax-Kram geworden? Bisher schien mir das eher sowas wie moderner Zigarettenschmuggel zu sein: Offiziell verboten, aber alle sehen weg. Zumal die wwoofer sich den Kram sowieso nicht leisten können."
Er hob theatralisch die Arme. "No offense!"
"Schon gut. Wir betrachten es nicht als Nachteil uns aus der Warenökonomie ausgeklinkt zu haben. Ihr Interzoner haltet uns für Bauern, aber die wwoofer-Gemeinschaft gründet auf einer jahrzehntealten theoretischen Auseinandersetzung ... Trotzdem ist deine Frage vollkommen berechtigt. Warum konfisziert das Militär WiMax?"
"Ihr habt doch auch ein bisschen Netzwerktechnologie, oder nicht?"
"Wie kommst du darauf?"
"Naja, als ich vor zwei Wochen in den Organic Farms war, schien es so als wäret ihr untereinander extrem gut vernetzt."
"Sind wir auch. Allerdings nicht über das Internet ..."
Er hielt inne und sah Paul schräg an.
"Woher weiß ich ob ich dir trauen kann?"
"Gar nicht. Genauso wenig wie ich."
"Richtig. Allerdings gehst du kein großes Risiko ein, wenn du mir vertraust. Pass auf, ich will jetzt wieder rein und den Abend geniessen. Morgen wird ein harter Tag. Melde dich bei Boris, die können im Büro noch einen Helfer bei der Inventur gebrauchen."
Paul war ein wenig enttäuscht, aber was konnte er schon erwarten, nachdem er hier unter falscher Flagge aufgetaucht war. Wenigstens musste er nicht mehr auf die Felder.
"In Ordnung! Danke!"
Szymon nickte ihm zu und verschwand wieder im Wohnbereich, wo eine sichtlich angetrunkene Natalia auf ihn wartete.

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