Kapitel 23.3 - Nach dem Frost

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Bis sie das Deck betraten, blieb Lyra schweigend. Auch wenn Kain nach seiner Offenbarung ihren Weg fortgesetzt hatte, überraschte es ihn ein wenig, wie hart seine Worte sie getroffen hatten. Dabei hatte er nur die Wahrheit gesprochen. Für Zuriel würde er töten und jedem, der ihm Leid brachte, würde er auf die qualvollste, grausamste Weise ermorden, die er kannte. Nicht, dass Zuriel das zulassen würde, aber genügend Entschlossenheit besaß er. Weder Lucifer, noch irgendein anderes übermächtiges Wesen könnte seine Meinung ändern.

Sobald sie das Deck betraten, richteten sich unzählige Blicke auf ihn. Einige der Rebellen ließen gänzlich von ihrer Arbeit ab, während andere ihm verstohlene Seitenblicke zuwarfen. Kain ignorierte das Getuschel. Momentan war Zuriel seine höchste Priorität. Wo befand sich sein Krankenbett? Er musste sich mit eigenen Augen vergewissern, wie es ihm ging.

Als hätte Lyra seine Gedanken gelesen, deutete sie in Richtung der Kapitänshütte. »Wenn du Glück hast, ist er inzwischen wach.«

Die Krähe nickte, bevor er mit zielstrebigen Schritten zur Kapitänshütte steuerte. Sein Blick lag starr auf der hölzernen Tür und ignorierte die Rebellen, die zur Seite wichen. Nur eine kleine Gruppe stellte sich ihm in den Weg. Normalerweise wäre er unbekümmert weitergegangen, aber da er keinen Streit provozieren wollte, stoppte er. Es brauchte nicht viel, damit Kain erkannte, dass sie offensichtlich ein Problem mit ihm besaßen. Verwundern tat es ihn nicht. Auf der anderen Seite sollte Lyra ihre Untergebenen besser unter Kontrolle halten.

»Ihr versperrt meinen Weg«, erhob Kain die Stimme, während sich seine Blicke mit dem vordersten Mann kreuzten. Sein Gesicht kam ihm bekannt vor. Vermutlich hatte sie im Lager das ein oder andere Wort ausgetauscht. Wie lautete sein Name? Der Auftragsmörder seufzte. Es hatte keinen Sinn. Sein altes Ich hätte niemals Kraft dazu verschwendet, sich den Namen von billigen Nebendarstellern zu merken.

»Wir plädieren offiziell dafür, die Krähe hinzurichten.« Ohne auf Kains Aufforderung einzugehen, erhob der Mann die Stimme. Seine Worte hallten entschlossen über das Deck und entfachten ein Welle an Gemurmel. Von allen Seiten hörte Kain überraschtes Tuscheln, während sich leise Zusprüche dazumischen.

»Mir ist herzlich egal, für was ihr plädiert«, erwiderte Kain, nachdem er sich eine unschöne Bemerkung verkniffen hatte. »Ich möchte nach Zuriel sehen und ihr versperrt meinen Weg.«

»Lasst ihn gewähren, Zarachy.« Lyra trat an seine Seite. Bei dem Klang seines Namen fiel es Kain wie Schuppen von den Augen. Er erinnerte sich. Im Lager war er mit Zarachy auf Patrouille gewesen. Dann war unter den Personen, die ihn begleiteten, mit Sicherheit auch sein Bruder.

Zarachy machte keine Anstalten sich zu bewegen. Stattdessen verfinsterten sich seine Gesichtszüge. Der Ernst blitzte in seinen Augen wie der Jagdinstinkt bei einem wilden Tier. »Bei allem Respekt, Hoheit, wie können Sie einen Massenmörder auf unserem Schiff gewähren lassen? Sie sind sich seiner Vergehen bewusst? Wer weiß, was in seinem verstörten Verstand vor sich geht? Wie können Sie sich sicher sein, dass er die Seiten gewechselt hat? Schlimmstenfalls wird das unser letzter Sonnenaufgang sein.«

Als Kain seine Position verteidigen wollte, bedeutete ihm Lyra mit einem mahnenden Blick zu schweigen. So schluckte der Auftragsmörder seinen aufkommenden Blutdurst herunter und beließ es bei einem leisen Knurren. »Ich habe mit keinem Wort erwähnt, dass ich ihm vertraue. Aber ich glaube Zuriels Worten. Sag, Zarachy, denkst du, dass Zuriel uns verraten würde?«

Zarachy trat einen Schritt zurück, bevor eine Hand zu seinem Schwert wanderte. Er zückte die Klinge nicht, aber seine Handlung bewies, wie ernst er es meinte. »Zuriel scheint sich der Situation nicht bewusst zu sein. Er ist zu naiv. Jemand wie er kann sich nicht bessern. Einmal ein Monster, immer ein Monster.«

Die blutrote KräheWo Geschichten leben. Entdecke jetzt