Kapitel 1.1 - Dunkelrote Melodie

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Dunkelrote Melodie

Der Bass dröhnte in Kains Ohren. Ein lautes Summen, welches das Gelächter der Menge verdrängte und erstmals eine harmonische Atmosphäre erschuf. Zusammen mit dem Alkohol war es eine giftige Mischung, trotzdem rief er den Wirt zu sich, nachdem er den letzten Schluck des dunkelroten Weins genommen hatte.

Ein großgewachsener Mann, mit Bart und einigen Narben, die sich über seine dunkle Haut zogen, begab sich zu seinem Platz. Seine braunen Augen mustern ihn eindringlich, bevor er nach dem Glas griff und dieses erneut befüllte.

»Das wird teuer«, fügte der Mann hinzu, während er den Wein wieder zu ihm schob. Schweigend nahm Kain das Getränk an und musterte den Fremden aus seinen blutroten Iriden abfällig. Alkohol hatte ihm noch nie viel ausgemacht und nach seinem letzten Auftrag musste er sich auch nicht um Geld sorgen.

»Lass das mal meine Sorge sein«, antwortete er mit rauer Stimme und drehte sich auf dem schmalen Barhocker um. Das Getränk ließ er auf dem Tresen stehen, stattdessen legte er den Kopf in den Nacken und betrachtete nachdenklich das Dachgerüst. Ein warmes Licht, das altmodisch von einigen Öllampen ausging, beleuchtete die einzelnen Balken. Die Schatten tanzten über die Wände, bewegten sich im Takt der Musik.

Im Gegensatz zu den letzten Tagen war in der kleinen Bar 'Zum Kuhhirten', die sich etwas abseits des Dorfes befand, nicht viel los, trotzdem war der Lärmpegel weiterhin erdrückend. Nur die Musiker, die auf einer kleinen Erhöhung ihre Bühne gefunden hatten, übertönten das Gelächter. Ein Bass zupfte gleichmäßig den Takt, während die anderen Instrumente eine ausgelassene Melodie formten. Eine Frau begleitete das Lied mit angenehmem Gesang. An ihrem Körper ein aufreizendes Kleid in dunklem Purpur.

Kain strich sich das schwarze Haar aus der Stirn und gab ein leises Seufzen von sich. Seine Wangen brannten und allmählich machte sich die bittersüße Wirkung des Alkohols bemerkbar. Nach dem letzten Glas würde er gehen und sich eine Unterkunft suchen.

Hinter ihm erklang ein raues Lachen: »Da haben Sie recht. Beschweren sollte ich mich nicht.«

Ob er tatsächlich versuchte, ein Gespräch aufzubauen? Kain spannte seine Muskeln kaum merklich an und beobachte den Mann aus den Augenwinkeln heraus. Ein leichtes Lächeln lag auf den spröden Lippen des Wirts, während er gekonnt ein Glas nach dem anderen trocknete. Kain würde ihn um die vierzig schätzen.

»Sie kamen in den letzten Tagen öfters.«

Spätestens jetzt hätte Kain das Gespräch am liebsten abgebrochen. Er zog es vor allein zu sein, doch dank des Weins war er angetrunken genug, um den Worten des Fremden weiterhin zu lauschen.

»Haben Sie keine Frau zu Hause, der sie damit Kummer bereiten?«, fragte der Wirt und legte das letzte Glas auf der Ablage ab. Seine Augenbrauen waren skeptisch nach oben gezogen.

»Wenn dem so wäre, würde ich hier nicht sitzen«, antwortete Kain trocken und kümmerte sich nicht um die Deutungsmöglichkeiten seiner Aussage. Tatsächlich war er in den letzten Tagen öfters in diese Bar gekommen, doch als Auftragsmörder besaß man weder Familie noch Zuhause. Selbst wenn er eine Verbindung eingehen wollen würde, wäre diese nicht von Dauer. Er fristete ein Leben als einsamer Wolf, allerdings störte ihn dies nicht. Schon früh hatte er den Glauben an die Menschheit verloren. In seinen Augen waren sie nicht viel mehr als Ungeziefer, weniger wert als der Dreck unter seinen Schuhen.

Die blutrote KräheWo Geschichten leben. Entdecke jetzt