Prolog

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Prolog

Kain hatte nie gewusst, wie wunderschön Blut war.

Wie wunderschön die rubinrote Flüssigkeit war, wenn sie mit all ihrer Pracht den Boden zu einem feurigen Gemälde wandelte. Heiß brannte sie auf der Haut der Leiche, bildete einen teuflischen Kontrast, während leblose Tränen über die blassen Wangen rannen. Klein und glänzend verglühten sie im Schein der Öllampe, die ihr tanzendes Licht auf den verkrümmten Körper warf. Schatten schmiegten sich an die filigrane Gestalt der Frau, ihr Leib in ein schwarzes Kleid gehüllt, das trotz seiner Dunkelheit die Grausamkeit der Tat nicht verdeckte. Offenes Fleisch berührte die stickige Luft, in die sich ein unwiderstehlicher Geruch mischte. Wunden zogen sich über ihren Brustkorb und Kain wusste nicht einmal mehr, wie oft er zugestochen hatte. Zu schön waren ihre verklingenden Laute gewesen, die erstickt den roten Lippen entflohen waren. Spitze Schreie, gefolgt von qualvollem Keuchen vermischten sich zu einer sinnvollen Melodie. Einem Lied, das er nie vergessen würde.

Der messerscharfe Stahl, dessen Griff er noch immer fest umklammerte, war mit Blut befleckt. Da war kein schimmerndes Metall, keine glänzende Klinge. Nur dunkler Lebenssaft, der die Schönheit der Waffe ins Unermessliche steigen ließ.

Kains Blick fiel auf die Klinge. Sie war nahezu gottgleich. Derart bezaubernd, dass in seinem Herzen kein Platz für Schuldgefühle blieb. Er hatte oft von Mördern gehört, die unmittelbar nach ihrer Tat Suizid begangen hatten, weil sie ihren eigenen Emotionen nicht standhalten konnten, doch er spürte keine derartigen Gefühle. Weder in seinem Kopf noch in seiner Seele machten sich giftige Gedanken breit. Da war nur Platz für Freude. Überschwängliche Euphorie, ähnlich wie die Berührung eines Engels. Das Gefühl beförderte ihn in unbekannte Höhen, trotzdem machten ihn die endlosen Meter nicht ängstlich. Er liebte die Macht, die er mit dem Messer in der Hand bekam. Absolute Überlegenheit, die durch seine Adern strömte und ihm ein wahnsinniges Grinsen auf die Lippen zauberte.

Erst war es nur eine leichte Regung. Ein schwaches Zucken, bevor es im völligen Wahn sein Gesicht schmückte. Grausam schallte das Lachen aus seiner Kehle. Laut und diabolisch, als hätte der Teufel selbst seinen Körper befallen. Sein Spott hallte von den Wänden der Wohnung wider, durchzuckte den Moment wie ein Blitz den düsteren Himmel.

Es dauerte lange, bis der letzte Ton verklang und eine gespenstische Stille sich breit machte. Kein Laut schmückte die Leere, selbst das Rauschen des Windes war verklungen. Lediglich der sanfte Regen, der gleichmäßig auf das Dach tropfte, zeichnete eine hypnotische Atmosphäre. Es waren ruhige Töne, von vollkommen gegensätzlicher Natur, als das dunkle Rot zu erkennen gab.

Die Perlen, die in ihrer Vielzahl von dem dunklen Nachthimmel fielen, ließen Kain an den Ausdruck zurückdenken, als seine Mutter begriffen hatte, dass er sie töten wollte. Auf ihrem Gesicht hatte eine Abfolge unterschiedlicher Emotionen stattgefunden, doch selbst ihre Tränen schienen damals so unendlich weit entfernt. Er hatte Wut gesehen, unbändigen Zorn, der aus dem Schock entstanden war, als sie die Waffe in seinen Händen gesehen hatte.

»Welch Ironie.« Kains Stimme war eine einzelne Note in der Symphonie eines verklingenden Lebens. Ungewöhnlich ruhig, hätte sie selbst den Toten eine Gänsehaut bereitet, und doch war sie von eiskalter Grausamkeit.

Es war wahrhaftig ironisch gewesen, als Kain verstanden hatte, dass sie keine Gewalt mehr über ihn besaß. Zu lange hatte sie ihn in Ketten gehalten, ohne zu wissen, welches Monster sie dabei erschuf. Sie hatte ihren eigenen Untergang herbeigeführt. Selbst ihre erzürnten Worte waren nicht dazu befähigt gewesen, das unvermeidliche Schicksal umzuschreiben. Der Richter hatte schon lange sein Urteil gefällt und Kain war der ergebene Soldat, der Gerechtigkeit verschaffte.

Unverhofft beendete er seinen Gedankengang und gab ein leises Seufzen von sich. Freiheit fühlte sich gut an, wie eine Droge, die ihn in Rausch versetzte. Es war vorbei mit dem endlosen Lernen, den Strafen und der Folter. Vorbei mit all den Fesseln, die ihn davon abhielten, derjenige zu sein, der er war. Er war kein braver Schüler, der sich adrett kleidete und dem glorreiche Zukunft bevorstand. Das ständige Üben hatte er schon immer gehasst und obwohl er in keinem Fach aufgegangen war, hatte er es für einfacher befunden, mitzuspielen. Menschen waren schon immer primitiv gewesen und seine Maske erreichte Perfektion. Trotzdem wollte niemand wissen, wie es unter dieser Fassade aussah. So erkannte auch niemand, welche Gefahr dahinter lauerte.

Letztendlich konnte es ihm auch egal sein, denn er hatte endlich etwas gefunden, für das seine unbändige Leidenschaft brannte. Etwas, bei dem sein Herz voller Aufrichtigkeit höher schlug.

Kain liebte das Morden.

Er liebte die Macht, die er dabei bekam. Er war süchtig nach ihren verzweifelnden Gesichtern, deren Augen von Tränen gezeichnet wurden. Das Blut, das aus den offenen Wunden floss; wie der letzte Herzschlag ertönte, nahezu melodisch ausklang und ein finales Ende zeichnete.

Töten war seine Passion. Seine wahre Bestimmung. Etwas, zu dem er geboren war.

»Sie ist tot.« Seine Worte zeigten keine Reue. Da war nur Platz für Enttäuschung, die bitter in seinem Magen lag. Er wollte einen weiteren Rausch erleben, ein weiteres Mal Blut an seinen Fingern spürten, erneut Gott spielen.

Ein Klacken ertönte, gefolgt von einem Quietschen, das von unterhalb des ersten Stocks erklang. Ein Schlüssel hatte sich in dem Schloss seiner Haustür gedreht und ein flüchtiger Blick auf die Uhr, die eine der Wände des Raumes schmückte, zeigte ihm, dass es bereits nach acht war.

Kain drehte sich um und eilte zu der Wendeltreppe, die sich ihren Weg in das Erdgeschoss bahnte. Er stand auf den ersten Stufen, während er sich nach unten beugte und lauschte. Das Prasseln des Regens hatte sich verstärkt, nachdem die Tür aufgestoßen worden war. Auch das Brüllen des Windes hatte zugenommen, durchbrach die gespenstische Stille, die sich zuvor um den Moment gelegt hatte.

»Schatz? Kain?« Die Stimme seines Vaters schallte von unten herauf. Noch immer wirkte sie etwas kratzig, von dem Husten, den er sich in den letzten Tagen eingefangen hatte.

»Ich bin hier, Vater«, antwortete Kain und sofort erschien das teuflische Grinsen wieder auf seinen Lippen. Sein Vater war soeben nach Hause gekommen, so durfte er ein weiteres Mal Gerechtigkeit bringen.

Wunderschöne, bittersüße Gerechtigkeit. Und er würde es lieben.

Die blutrote KräheWo Geschichten leben. Entdecke jetzt