Kapitel 3.1 - Falsche Kameraden sind falsche Freunde

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Falsche Kameraden sind falsche Freunde

Bevor Kain aufbrach, betrachtete er sich im Spiegel. Ein Mann, an dem sich schon seit drei Jahren der Zahn der Zeit nicht mehr gewetzt hatte. Er sah tatsächlich noch immer so aus wie mit 24, wenn man die Frisur nicht beachtete. Nicht, dass es ihm missfallen würde, auf ewig jung zu bleiben, doch nach einer Weile, war jeder Blick in den Spiegel frustrierend. Dieselbe blasse Haut und dasselbe markante Gesicht wie vor drei Jahren. Es war eine Hassliebe, doch um Trübsal zu blasen, betrachtete er sich nicht. Viel mehr beschäftigten ihn die Worte des Wirtes. War sein Blick tatsächlich so furchterregend?

Nicht, dass es ihn groß interessieren würde, aber Neugierde hatte Richard durchaus in ihm entflammt, so stellte er sich dieselben blutrünstigen Fantasien wie letzte Nacht vor. Jedoch ohne Erfolg. Vielleicht lag es an der Tatsache, dass die Situation nur gekünstelt war, denn nicht einmal die roten Iriden, die zeitgleich mit seiner Unsterblichkeit gekommen waren, blitzen in einem Anflug von Zorn und Mordlust auf.

Seufzend wandte sich Kain vom Spiegel ab: »Er ist einfach ein Weichei.«

Insgeheim blieb seine Neugierde weiter bestehen, dennoch packte er seine Sachen zusammen und verließ die Stadt, noch bevor die Sonne aufgegangen war.

Mit der Karte, die Richard ihm gegeben hatte, hatte er bereits seinen Weg festgelegt und als die Nacht endlich dem Tag wich, war Schwalbenschlucht schon in weiter Ferne. Das einzige, was er von ihr mitgenommen hatte, war Proviant, der für die ersten zwei Tage genügen würde und während er Schritt für Schritt durch die schier endlosen Landschaften strich, dachte Kain ein letztes Mal an das Gespräch zurück.

Richard wusste nichts über die Marionetten und eine Lüge könnte es nicht sein, denn es würde ihm nichts bringen. Gleichzeitig war seine Reaktion zu natürlich gewesen. Mit anderen Worten es gab noch jemanden da draußen, der seine wahre Identität kannte. Diese Person war offensichtlich hinter seiner Unsterblichkeit her, ob er oder sie jedoch schädlich für seinen Beruf werden könnte, stand noch im Dunkeln. Egal, wie viel er sich den Kopf zerbrach, ohne weitere Informationen, würde er zu keiner Lösung kommen. Auch wenn es ihm missfiel, so musste er abwarten, bis der Gegner den nächsten Schritt tat. Bis dahin sollte er Vorsicht walten lassen.

Während sich die Krähe seinen Gedanken hingab, verstrich Stunde für Stunde und erst als sich die Müdigkeit in jeder Faser seines Körpers breit machte, setzte er sich auf den Ast eines Baumes.

Aus seinem Beutel holte er ein Säckchen, das mit Perlen und Murmeln gefüllt war. Kain nahm sich eine besonders große Kugel, die weiß und silbern schimmerte. Mit der passenden Zauberformel erstrahlte sie plötzlich in hellem Licht, welches die Umgebung beleuchtete. Dadurch konnte er trotz der Finsternis die Informationen über seine neue Rolle lesen.

Mit einem leisen Seufzen kramte er die Papiere hervor und begann zu lernen. Kain von Bogfall war ein junger Mann im Alter von dreiundzwanzig. Er ging auf eine teure Magierschule, besaß aber nur durchschnittliche Noten. Seine Fähigkeiten beschränkten sich auf Magie der Stufe 1 und 2, jedoch gab es auch einige Aufzeichnungen von Zaubern der Stufe 3. Allerdings bezweifelte Kain, dass diese seine Mission beeinflussen würden, wo er selbst nur Zauber bis Stufe 2 ausführen konnte. Des Weiteren besaß er nur beschränkte Fähigkeiten, was den Kampf anging und er war unter den Schülern für seine Arroganz bekannt. Mit anderen Worten ein verwöhntes Kleinkind, das nie richtig arbeiten musste. Bevor seine Eltern hingerichtet wurden, war vorgesehen, dass er das Geschäft übernehmen sollte, wenn sein alter Herr in Gras beiße. Doch da das Gericht das Erbe dem König zugesprochen hatte, saß er nun seit über zwei Monaten ohne Geld da.

Kain presste die Lippen aufeinander und überlegte scharf. In zwei Monaten konnte sich einiges ändern, weswegen er sich nicht gänzlich an die Informationen halten müsste. Eine Erleichterung.

Die nächsten zwei Stunden verbrachte der Schwarzhaarige damit, die restlichen Notizen durchzulesen. Zeitgleich begann er damit, sich in seine Rolle einzuleben. Darunter fiel auch, dass er auf seine Pistolen verzichtete. Stattdessen jagte er sein Essen für die nächsten Tage mit einem selbstgemachten Speer. Es war anstrengend und womöglich war er viel zu vorsichtig, andernfalls könnte bei einem einzigen falschen Wort der gesamte Schwindel auffliegen. Das durfte er sich nicht leisten. Nicht um seiner Selbsterhaltung, sondern auch um seinen Stolz zu wahren.

So vergingen die nächsten Tage mit fleißigen Lernen. Inzwischen hatte er die Notizen mehrere Male durchgelesen und als die sechste Nacht hereinbrach, verstand die Krähe allmählich, was für ein Mensch dieser andere Kain gewesen war. Dass er ihn perfekt imitieren konnte, war zweifelhaft, aber das einzig Gute an Menschen war, dass sie vielschichtig waren. Facettenreich und selbst Adelige, die auf andere herabschauten, besaßen eine Seele, die genauso erschüttert werden konnte, wie die eines jeden anderen.

»Ob ich das wohl schaffen werde?«, fragte sich Kain selbst und entfachte mit einem Zauberspruch ein kleines Feuer. Ein letztes Mal überflog sein Blick die Zettel, bevor er sie in die züngelnden Flammen warf. Es zischte und knisterte laut, während das Papier von der geformten Hitze gefressen wurde. Zurück blieb nur Asche.

»Wem mach ich was vor? Natürlich schaffe ich das«, antwortete die Krähe selbst und streckte sich, bevor er sich an einen Baum anlehnte. Es war noch nicht lange her, dass er den Wald Nemona, in dem die Rebellion ihren Unterschlupf hatte, betreten hatte, dennoch fand er sich noch nicht im Niemandsland. Bis dahin würde es noch ein paar wenige Stunden benötigen.

»Immerhin bin ich nicht irgendwer«, führte er seine Gedanken fort, bevor er stumm einen letzten Teil anhing, »Immerhin bin ich die Krähe.«

Zweifel könnten in seinem Beruf giftig sein. Ein selbstbewusstes Auftreten besaß jeder gute Auftragsmörder und er gehörte zu der Elite. Zur absoluten und unangefochtenen Spitze.

Mit diesen Gedanken, die seinem Ego schmeichelten, schloss er die Augen. Müdigkeit übermannte ihn und schließlich blendete er die nächtlichen Geräusche des Waldes aus. Er fiel in einen ruhigen, traumlosen Schlaf, der erst endete, als die Vögel für den Sonnenaufgang fröhlich zwitscherten.

Die blutrote KräheWo Geschichten leben. Entdecke jetzt