Kapitel 11.1 - Auftakt der Göttlichkeit

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Auftakt der Göttlichkeit

Unbehagen breitete sich in Kain aus, sorgte dafür, dass er zischend die Luft entweichen ließ, die sich zuvor in seinen Lungenflügeln angesammelt hatte. Im selben Wimpernschlag spannten sich seine Muskeln an und er ballte die Hände derart fest zu Fäusten, dass sie zitterten. Wut stieg in seiner Seele auf, als würde man in ihr die Vorbereitung für eine erbarmungslose Schlacht treffen. Schwerter und Dolche wurden geschärft, sodass ihre Klingen mühelos menschliches Gewebe zertrennen könnten.

Nur mit größter Selbstbeherrschung stürmte die Krähe nicht in Lyras Zelt und verpasste Zuriel seine wohlverdiente Kugel. Auch wenn es ihm schwerfiel, so müsste er doch warten, ob der Schmied tatsächlich plante, ihn zu verraten. Zumindest könnte er dann noch immer eingreifen.

Erneut atmete der Auftragsmörder tief ein und aus. Diesen Vorgang wiederholte er ein paar Mal, bis sich seine Muskeln entspannten und der dichte Nebel, der zuvor seine Gedanken verschleiert hatte, sich allmählich lichtete. Nur so war er in der Lage rational zu handeln. Seine impulsive Ader verhielt sich wie ein zweischneidiges Schwert. Auf der einen Seite erweckte sie nahezu ungeahnte Kräfte und trieb ihn weit über sein Limit hinaus, auf der anderen Seite könnte er so schneller sein Leben lassen, als ihm lieb wäre.

Fürs Erste sollte er lauschen, was Zuriel zu besprechen hatte. Unter Umständen wollte der Schmied ihn auch gar nicht verraten und das Treffen ging von Lyra aus. Für unwahrscheinlich hielt er es nicht.

Indem die Krähe seinen Blick von links nach rechts wandern ließ, verschaffte er sich einen Überblick über die Situation. Vor Lyras Zelt standen keine Wachen, was ihm überaus gelegen kam. Vermutlich wollte die Göttin absolute Vertrautheit gewährleisten, doch diese noble Geste stellte sich als sein Vorteil heraus. Auch die Tatsache, dass ein Großteil der Mitglieder schlief, spielte ihm in die Hände. Er durfte sich dem Zelt lediglich nicht zu weit nähern, da man andernfalls seinen Schatten entdecken würde.

Flink und doch lautlos wie eine Katze, die ihrer Beute auflauerte, huschte Kain zwischen eine Reihe an Zelten hindurch, bevor ein geeigneter Platz in sein Blickfeld fiel. Hinter ein paar Fässer bot sich das perfekte Versteck an. Von dort aus könnte er nicht nur Lyra und Zuriel belauschen, sondern es wäre auch unwahrscheinlich, dass jemand, der gerade durch das Lager patrouillierte, ihn entdeckte.

Glücklicherweise wusste die Krähe, wie man sich unbemerkt von einem Ort zum anderen begab. Es war eine der vielen Fähigkeiten, die er durch seine jahrelange Erfahrung als Auftragsmörder errungen hatte.

Innerhalb weniger Sekunden erreichte Kain sein Ziel und versteckte sich hinter den Fässern. Sein Herzschlag beschleunigte sich und sein Atem ging flach, doch er unterdrückte das ungute Gefühl. Stattdessen blickte er vorsichtig über den hölzernen Rand. Dabei wagte er nicht einmal zu atmen.

Durch das Licht, das aus dem Inneren des Zeltes drang, erkannte Kain die schemenhaften Umrisse dreier Personen. Eine feminin wirkende Silhouette, die er Lyra zuordnen konnte, saß an dem Tisch, während eine zweite Gestalt, bei der es sich um Zuriel handeln musste, es sich gegenüber von ihr gemütlich gemacht hatte. Die letzte Person hingegen war groß und breit gebaut, wobei die dunkle Stimme Bestätigung brachte, dass es sich bei ihr um Kenshin handelte.

»Zuriel ist weiterhin der festen Überzeugung, dass Kain nichts zu verbergen hat.« Die Tonlage des zweiten Anführers senkte sich zu einem rauen Grummeln.

»Du stellst das so dar, als wäre es eine Schandtat«, erwiderte der Schmied, wobei ein Hauch von Ärgernis in seiner Stimme mitschwang.

Die blutrote KräheWo Geschichten leben. Entdecke jetzt