Kapitel 26.1 - Schwarz und Weiß

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Schwarz und Weiß

Knarrend öffnete sich die Tür und offenbarte Einblick in den geräumigen Thronsaal. Auf einer Erhöhung, geführt von einem roten Teppich, saß Lucifer. Innerlich hatte sich Kain auf den Anblick seiner Mutter eingestellt. Der Urgott nahm die Gestalt derjenigen an, dessen Anblick am schmerzvollsten wäre, aber anstelle der grässlich verdorbenen Kurven einer Frau starrte er in die kantigen Gesichtszüge eines Mannes. Scharlachrote Augen starrten zurück. Dann setzte sein Herz einen Schlag aus. Vor ihnen saß Kain. Aber er war nicht dieser Kain. Lucifer war eine billige Fälschung. Ein Trugbild seines Gesichtes. Seine Statur eine perfekte Imitation. Jede Unreinheit, jedes Muttermal. Bis auf die letzt Zelle schien er ihm zu gleichen, trotzdem bot sich ein entscheidender Unterschied. Die weißen, silbrig glänzenden Haare, welche die pechschwarze Pracht ersetzten, die andonsten einen wunderbaren Kontrast zu seiner blassen Haut bildeten. Ein Fehler im System. Eine Störung seiner Illusion.

Zuriel, der hinter ihm den Thronsaal betrat, sah mit aufgerissenen Augen von Kain zu Lucifer. Dann öffnete er seinen Mund, doch keine Worte entkamen seiner Kehle. Trotzdem zeigte sein Blick jede seiner Gedankengänge und die Krähe teilte sie. Wie konnte er es wagen, sich in ihn zu verwandeln? Was bildete er sich ein? Fand er das witzig? Fand er es witzig, in das Spiegelbild seiner Vergangenheit zu blicken? In einen Kain, wie er vor drei Jahren das Totenreich betreten hatte? Wie konnte er es wagen? Augenblicklich verkrampften sein seine Hände und sein Puls schoss in die Höhe. Eine Zornesader bildete sich auf seiner Stirn.

»Lucifer«, flüsterte Lyra mit leiser jedoch fester Stimme. Dann senkte sich die Temperatur drastisch. Kühler Wind peitschte ihm entgegen, zerrte an den Haaren des Urgotts, dennoch riss es nicht das Lächeln von seinen Lippen. Unverändert verweilte es auf seinem Gesicht, als wäre es ein Schmuckstück, das seinen Hals zierte.

»Ihr habt mich warten lassen«, sprach Lucifer und stützte seinen Kopf mit der linken Hand ab. Eine seltsame Mischung aus Gelassenheit und Bosheit schwang in seiner Stimme mit. Ein dunkles Raunen, wie eine animalischen Bestie, die vor ihrem ersten Angriff warnte.

Mit einer zweiten Handbewegung erlöschte Lyras Magie. Der Wind gezähmt und die Kälte verdampft in der Hitze des Totenreiches. Fassungslos blickte zu Eisgöttin zu Lucifer. Er hatte ihre Magie neutralisiert. Sie verschwinden lassen, als wäre sie ein lästiges Blatt, das er aus der Luft gefischt hatte. Das war die Macht eines Urgottes. Die Macht desjenigen, der Götter formte, Menschen kreierte und Welten erschuf.

Ein Riss zog sich durch die Maske der Krähe. Kain nahm eine Defensivhaltung an. Den Rücken gekrümmt, die Sinne geschärft und die Knie angewinkelt. Niemand konnte sagen, wann Lucifer angreifen würde. »Lange ist es her.« Der Auftragsmörders versuchte seine Worte so neutral wie möglich erklingen zu lassen, aber Lucifer entlarvte sein Schauspiel. Zumindest vermutete er es, denn das Grinsen auf seinen Lippen wurde noch breiter. So breit, dass es beinahe unmenschlich wirkte.

»Die längsten drei Jahre meines Lebens.« Lucifers Augen verengten sich. Lyra und Zuriel schien er kaum zu beachten. Kain war das Zentrum seiner Aufmerksamkeit. »Du verstehst nicht, wie glücklich ich bin, dich vor mit zu sehen. Man könnte sagen, ich habe mich nach dir gesehnt. Ja, ich habe dich so schrecklich vermisst.«

Der Urgott hatte ihn vermisst? Sich nach ihm gesehnt? Anscheinend war er nicht mehr dicht im Kopf. Dann erinnerte er sich an Zaz Worte. Lucifer hatte sich durch seine Niederlage verändert. Bedeutete das, Lucifer ihn...? Augenblicklich wurde ihm speiübel. Der widerliche Geschmack von Erbrochenem breitete sich in seinem Mund aus, gefolgt von einem kalten Schauer.

Erstmals verschwand das Lächeln von Lucifers Lippen. Er zog die Augenbrauen zusammen und fixierte seine Kameraden, als wären sie der Ursprung seines Gemüts. »Dich scheint etwas zu bedrücken, Kain. Ich hoffe, ich bin der Grund. Ich bin der einzige, der dich leiden lassen darf.«

Die blutrote KräheWo Geschichten leben. Entdecke jetzt