Kapitel 9.2 - Der Frost auf den Federn

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Noch bevor Lyra protestieren konnte, dass er ihr den Kampf überlassen sollte, feuerte Kain den ersten Schuss ab. Die geformte Magie verfehlte ihr Ziel nur knapp, weswegen Lepha einen Sprung zur Seite machte. Solange ihm nicht die Munition ausgehen würde und er die Puppe auf Distanz halten konnte, wäre er im Vorteil. Doch sobald er die letzte Energie des Äthers aufgebraucht hätte, könnte sie ohne Furcht zuschlagen. Dann würde er ihr nur noch mit roher Körperkraft Widerstand leisten können, aber da sein Gegner aus Holz bestand, wollte er es nicht so weit kommen lassen.

Lepha starrte ihn mit ihren gläsernen Augen an, wobei ihr Blick nahezu gespenstisch wirkte. Es war genau so, wie die Krähe es vermutet hatte. Sie wartete darauf, bis er ihr schutzlos ausgeliefert wäre, aber wenn sie zu lange zögern würde, dann hätte Lyra ihren Kameraden bereits besiegt. Dann würde es zwei gegen eins heißen und da sie nicht einmal zu dritt eine Chance gegen die Göttin gehabt hatten, bestünde so nicht auch nur der Hauch einer Möglichkeit zu gewinnen.

Seelenruhig wartete Kain darauf, dass sein Feind einen Angriff startete, während er aus den Augenwinkeln beobachtete, wie die Kriegern Mariel einheizte. Gerade als Lyra den rechten Arm der Puppe mit einem saubereren Schnitt vom Körper trennte und dieser mit einem dumpfen Geräusch zu Boden fiel, entschied sich Lepha endlich dazu, die Initiative zu ergreifen. Ihr Griff, der verbittert den Dolch umklammerte, wurde noch fester, während sie schnellen Schrittes auf Kain zustürmte.

Gleichzeitig schoss der Puls des Auftragsmörders in die Höhe, wobei ein leichtes Grinsen auf seinen Lippen erschien. Schon früh hatte er gemerkt, wie gut sich Vergeltung anfühlte und heute würde er erneut den süßen Geschmack von Rache kosten können.

Während die Marionette stetig näher kam, verengten sich Kains Augen und er unterlag dem Drang endlich den Abzug zu betätigen, doch erst musste Lepha in seiner Reichweite sein, sodass sie nicht mehr in der Lage wäre, rechtzeitig auszuweichen. Schließlich trennten sie einander nur noch wenige Meter, woraufhin er die Zauberformel murmelte und der zweite Schuss durch die Luft zischte. Dieses Mal war die energiegeladene Kugel lautlos, aber zu Kains Bedauern, duckte sich die Puppe unter dem tödlichen Geschoss hinweg. Dabei rutsche ihr die Kapuze vom Gesicht, weswegen er nun vollen Ausblick auf ihren fein ausgearbeiteten Schädel besaß. Tatsächlich erkannte er dabei ein paar hauchdünne Risse. Die Narben ihrer damaligen Konfrontation.

Kain stieß ein lautes Fluchen aus, bevor er reflexartig ein weiteres Mal den Abzug drückte. Dieses Mal zielte er auf ihre Beine, in der Hoffnung sie so ausbremsen zu können, aber auch dieses Vorhaben scheiterte kläglich. Mit einem unmenschlich hohen Sprung entfloh die Marionette dem feindlichen Angriff, wobei sie den Schwung nutzte, um zu einem Konter anzusetzen. Die Klinge des Dolches vollführte einen Hieb, der sich geradewegs durch Kains Schädeldecke gerammt hätte, wenn er den Angriff nicht mithilfe seiner Pistolen abgeblockt hätte. Aber Lepha reagierte sofort, so schaffte es die Krähe nur im letzten Moment seine Arme schützend zu heben, bevor ihn ein kräftiger Tritt geradewegs ins Gesicht traf. Er stolperte ein paar Schritte zurück, während Lepha ihre Chance ergriff. Fest rammte sie ihren Dolch in Kains Bauch. Sofort färbte sich sein Hemd rot und eine Welle des Schmerzes durchfuhr ihn. Ein qualvolles Keuchen entkam seinen Lippen, wobei sein Herz einen Schlag aussetzte, aber obwohl sich seine Muskeln qualvoll zusammenzogen, ließ Kain seine Pistolen los und umfasste anstelle dessen Lephas Handgelenk. Sein Griff war eisern und im Bruchteil einer Sekunde platzierte er einen Faustschlag geradewegs in das Gesicht der Marionette.

Als seine Fingerknöchel auf das Holz trafen, ertönte ein lautes Knacken, das von weiteren Qualen begleitet war, die seine Nerven bis auf das äußerste reizten, doch Kain biss die Zähne zusammen und schlug ein weiteres Mal zu. Der Auftragsmörder merkte, wie die Knochen in seinen Händen zu brechen schienen, aber seine Freude überdeckte den Schmerz, als er bemerkte, wie die Marionette das Gleichgewicht verlor. Augenblicklich drückte er die Puppe zu Boden und verlagerte sein Gewicht auf ihren Bauch, sodass es ihr unmöglich war, zu entkommen. Noch in derselben Bewegung zog er den Dolch aus seiner Wunde, wobei seine Handlung ihm ein schmerzerfülltes Knurren kostete, das ihn jedoch keinesfalls von seinem Vorhaben abringen würde.

Die blutrote KräheWo Geschichten leben. Entdecke jetzt