Kapitel 7.1 - Eisige Freundschaft

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Eisige Freundschaft

Als Kain nach Schulschluss das Grundstück seiner Eltern betrat, war das erste, was seine Aufmerksamkeit auf sich zog, zwei geflochtene Zöpfe an feuerrotem Haar, die hinter ein paar Büschen auftauchten. Sie gehörten zu einem Mädchen, nur ein Jahr jünger, als er es war. Soweit Kain wusste, stammte sie aus ärmlichen Verhältnissen, weswegen sie nur das Nötigste an Bildung genossen hatte, bevor sie zum Erhalt ihrer Familie arbeiten gehen musste. Mit ihrer schmächtigen Figur, wie aus Porzellan geformt, konnte ihr Körper nur schwer die Aufgaben eines Dienstmädchens erledigen, trotzdem trug sie stets ein Lächeln auf den Lippen. Es war herzlich und voller Freude, denn egal wie kräftezehrend ihr Leben war, sie besaß geliebte Personen, die ihrer Existenz Bedeutung schenkten.

Manchmal wünschte sich Kain mit ihr tauschen zu können.

Kain ging bereits den gepflasterten Weg, der zur Haustür führte, als sie ihn bemerkte. Raschen Schrittes kam sie hinter den Pflanzen hervor, die in gleichmäßigen Abständen beide Seiten des Weges zeichneten. Auf ihren Wangen legte sich eine zarte Röte, während sie hastig versuchte ihr schlichtes Kleid zu richten. Dabei fielen ein paar Blätter zu Boden, die beim Schneiden der Büsche auf dem Kleidungsstück gelandet waren. Schließlich hob sie den Kopf und schenkte Kain ein Lächeln. »Willkommen zurück, junger Herr.«

Die Blicke des Schwarzhaarigen durchbohrten sie wie etliche Messerstiche. Sie waren eiskalt und trotzdem brannten sie auf ihrer Haut wie Säure, die sich langsam in ihr Fleisch fraß. Sekunden des Schweigens vergingen, die mehreren Minuten glichen, doch schließlich nickte die Krähe. Schon immer hatte er die falsche Höflichkeit der Bediensteten gehasst. Der einzige Grund, warum sie noch treu waren, war der Lohn, den sie für ihre Arbeit bekamen.

Gerade wandte er sich zum Gehen, da ertönte die weibliche Stimme ein weiteres Mal: »Kann ich noch etwas für Sie tun?«

Kain stoppte in seiner Bewegung, hielt inne, noch bevor er einen Schritt gegangen war. Nachdenklich runzelte er die Stirn und presste die Lippen aufeinander. Augenblicklich waren seine Gedanken zu der einzelnen Droge gewandert, die er aus der Schule mitgenommen hatte. Still und heimlich lag das süße Gift in seiner Tasche, nur darauf wartend ihn in einen Zustand voller schädlicher Euphorie zu versetzten. Er würde sie gerne nehmen, aber das konnte er nicht machen, wenn seine Mutter zu Hause war.

»Um ehrlich zu sein, ja.« Ein Grinsen schlich sich auf seine Lippen, ohne, dass er sich dessen bewusst war. »Ist dir zufällig bekannt, ob meine Mutter ausgegangen ist?«

Für einen kurzen Moment überlegte die Rothaarige, doch schließlich schüttelte sie den Kopf, sodass die Zöpfe über ihre Schultern fielen. »Soweit ich weiß, besucht die verehrte Frau Soris ihre Freundinnen.«

Das Grinsen auf Kains Gesicht wurde noch breiter: »Ich danke dir. Du kannst nun mit deiner Arbeit fortfahren, richte aber zuvor allen Angestellten aus, dass ich nicht gestört werden will.«

»Wollen Sie wieder Drogen nehmen?« Die Krähe erstarrte, ganz so, als würde er vor seiner kaltblütigen Mutter stehen, die ihre Klauen an ihm wetzte, bis abermals dunkles Blut den Boden umspülte. Der Schock fraß sich durch jede einzelne Zelle seiner Körpers, sodass sein Herz einen Schlag aussetzte.

»Woher weißt du das?«, brach Kain atemlos hervor, während sich ein raues Knurren in seine Stimme mischte. Sein Blick wurde noch stechender, bevor er mit langsamen Schritten auf die Rothaarige zuging. Wie ein Raubtier, das seine Beute im Visier hatte, drängte er das Mädchen Stück für Stück zurück.

Die blutrote KräheWo Geschichten leben. Entdecke jetzt