Kapitel 9.3 - Der Frost auf den Federn

613 76 128
                                    

Es dauerte nicht lange, da drangen die ersten Stimmen an Kains Ohr. Bald darauf erkannte er die ersten Zelte sowie Köpfe, die über den Platz eilten. Glücklicherweise hatte noch niemand Lyra erkannt, weswegen sich die Göttin zu ihm umdrehen konnte, ohne direkt von einer kreischenden Menge begrüßt zu werden.

Gerade wollte sie zu einer Aufforderung ansetzten, da unterbrach sie der Auftragsmörder, der während ihres Rückwegs kein Wort mit ihr gewechselt hatte: »Wie ist dir eigentlich gelungen, mich zu finden?« Kain erwiderte ihren eiskalten Blick, wobei er ihr stumm zu verstehen gab, dass er sich nicht ohne eine Antwort zufriedengeben würde.

»Ich habe dich schreien gehört«, beantworte sie seine Frage knapp, bevor sie einen Seitenblick über ihre Schulter warf, wodurch sie das Lager bestens im Auge hatte.

»Du warst also zufällig in der Nähe?«, hakte Kain nach und richtete seine Haltung. Da seit dem Angriff einige Minuten verstrichen waren, hatte er es geschafft, gänzlich zu seinem eigentlichen Ich zurückzufinden.

Lyra nickte als Bestätigung: »Ob du es mir glaubst oder nicht, aber es handelte sich tatsächlich um einen Zufall.«

»Da kann ich wirklich von Glück reden. Wer weiß, wie es ausgegangen wäre, wenn du nicht aufgetaucht wärst.« Kain schüttelte bei dem Gedanken den Kopf, sodass sich eine Strähne von seinem Haaransatz löste und in sein Sichtfeld fiel. »Ich bin mir nicht sicher, aber ich denke, dass sie darauf aus waren, mich zu töten.«

Bei der Lüge, die sich Kain in den letzten Minuten ausgedacht hatte, bekam er im Handumdrehen Lyras gesamte Aufmerksamkeit. Die Göttin senkte die Arme, die sie zuvor gekreuzt hatte, wobei sie den Kopf leicht schief legte, um ihm zu symbolisieren, dass er weiter reden sollte.

»Ich bin mir natürlich nicht sicher, aber möglicherweise denkt man, dass ich Beweise für die hinterlistigen Pläne des Königs besitze.«

»Beweise für die Pläne meines Bruders?«, wiederholte sie mit einem Hauch von Zweifel in ihrer Tonlage. Es war nicht verwunderlich, dass sie seinen Worten argwöhnisch gegenüberstand, immerhin hatte nicht einmal sie geschafft, mehr als Indizien für Arthurs Schuld zu finden. Durch ihre Adern floss dasselbe göttliche Blut. Niemand kannte Arthur besser als sie, daher konnte sie sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass der Neuling der Rebellion Beweise für Athurs geplanten Verrat besaß.

Als die Krähe an Lyras Blicken erkannte, dass sie tatsächlich verlangte, ihr seine Informationen preiszugeben, schüttelte er abermals den Kopf und hob abwehrend die Hände. »Versteh das nicht falsch. Ich besitze keine Beweise, aber es würde doch genügen, dass sie denken, dass ich welche besitze.«

Für einen kurzen Moment herrschte Schweigen, während Lyras Mundwinkel nach unten sanken und sie ein leises Seufzen von sich gab. Anschließend wandte sie sich von ihm ab. »Wenn es dir nichts ausmacht, würde ich das gerne in meinem Zelt besprechen. Zusammen mit Kenshin und Zuriel.«

Der Auftragsmörder legte seine Stirn in Falten. »Ich kann verstehen, warum du Keshin dabei haben willst, aber warum Zuriel?«

Bei dem Gedanken, dass der Schmied von dem Angriff der Marionetten erfahren könnte, drehte sich Kain der Magen um. Es stimmte zwar, dass er das Herz eines Engels besaß, aber egal, wie sehr es von Güte und Sorge gezeichnet war, er könnte sich etwas Angenehmeres vorstellen, als von Zuriel bemuttert zu werden. Unabhängig davon, ob er wusste, dass sich die Krähe vor Berührungen scheute, würde er ihm nicht mehr von der Seite weichen. Allein die Befürchtung eines weiteren Hinterhalts würde ihn dazu bewegen. Hinzu kam die Tatsache, dass Zuriel ihn als Freund ansah, welche es nochmals verschlimmerte.

»Zuriel besitzt eine gute Auffassungsgabe. Möglicherweise gelingt es ihm, die Situation aus einem anderen Licht zu betrachten. Außerdem ist er derjenige, mit dem du am meisten Kontakt hast. So oder so würde ich ihn von den Geschehnissen in Kenntnis setzen«, argumentierte Lyra, wobei sie der Krähe einen mahnenden Blick zuwarf. Der Ausdruck in ihren Augen ließ keinen Widerspruch zu, so knirschte Kain lediglich mit den Zähnen, bevor er sich mit einem Nicken als einverstanden erklärte.

Die blutrote KräheWo Geschichten leben. Entdecke jetzt