Kapitel 3.3 - Falsche Kameraden sind falsche Freunde

881 102 165
                                    

Keine fünf Minuten später gingen Zuriel und Kain nebeneinander her. Beide wechselten kein Wort miteinander, stattdessen ertönte nur das Rascheln der Blätter, als ein kühler Hauch die grünen Gebilde erfasste. Wie eine Melodie ließ der Wind die Töne erklingen und tatsächlich musste die Krähe zugeben, dass dieser Ort seine ganz eigene Magie besaß. Überall wuchsen Pflanzen und Kräuter in üppiger Vielfalt. Er erkannte weiße Blüten und rote Beeren, die den ein oder anderen Strauch in voller Reife zierten. Im Gegensatz zu den meisten anderen Wäldern, die er bereits durchquert hatte, war dieser weitestgehend unberührt. Er hatte bereits Naturräume gesehen, die vollends von den Menschen zerstört wurden. Angefangen mit Jagen, das stark an die Todsünde der Völlerei grenzte, bis hin zur Abholzung und Verschmutzung. Der Mensch war wahrlich ein teuflisches Wesen, das die Erde aussaugte wie ein Parasit. Und wieder ein weiterer Grund, warum er diese Rasse verachtete. Dennoch stimmte es ihn besser, wenn er bemerkte, dass Reamo nicht ein völlig lebloser Kontinent war.

Als seine Blicke über die unzähligen Pflanzen huschten, schielte er immer wieder unauffällig zu Zuriel und beobachtete ihn aus den Augenwinkeln. Seitdem er ihm den toten Hasen gegeben hatte, sah der Braunhaarige ihn nicht einmal mehr direkt an. Ob er mit der Ermordung des Tieres zu skrupellos gewesen war? Aber war das wirklich ein Fehler gewesen? In seinen Augen war es nämlich nur eine Geste der Höflichkeit, immerhin durfte er sich die erste Person, die er aus der Rebellion traf, nicht zum Feind machen.

Kaum erkannte die Krähe, wie blass Zuriel war, musste er heftig schlucken. Sämtliche Röte, die zuvor noch auf seinen Wangen gelegen hatte, formte sich kreidebleich und die aufgerissene Stelle an seiner Lippe, deutete darauf hin, dass er mehrmals auf diese gebissenen hatte. Glücklicherweise war die Blutung längst gestoppt, trotzdem wirkte der junge Mann fast schon kränklich. Selbst der freudige Gesichtsausdruck war seinen Lippen entschwunden und als Kain das träge Schimmern in seinen Augen sah, verstand er, dass Zuriel Schuldgefühle hatte. Das war sicher.

Hörbar ließ Kain die in ihm angestaute Luft entweichen. Er war nicht der Grund seiner Gefühlslage und das beruhigte ihn sehr. Gleichzeitig beschloss er die Situation etwas aufzulockern. Zwar interessierte es ihn reichlich wenig, ob der Braunhaarige ihn mochte oder nicht, dennoch war er naiv und hatte sich leicht täuschen lassen. Er könnte ihm bei seiner Mission behilflich sein und wenn es dabei nur um nützliche Informationen ging.

»Wie weit ist es noch?«, fragte Kain und wandte seinen Kopf Zuriel zu. Dieser reagierte erst verspätet, während er den Schwarzhaarigen mit seinen Blicken fixierte.

»Nicht mehr lange«, erwiderte er und versuchte sein freundliches Lächeln aufrechtzuerhalten, wenngleich er daran kläglich scheiterte.

Um ehrlich zu sein, hielt es Kain für lächerlich, Trübsal zu blasen, nur weil ein Hase sein Leben gelassen hatte. Wie würde er dann reagieren, wenn jemand während der Rebellion starb, der ihm ans Herz gewachsen war? Vermutlich würde er spätestens an dieser Stelle seines Lebens scheitern. Aus eigener Erfahrung konnte die Krähe sagen, dass Gefühle einen nur behinderten. Emotionen wie Freundschaft, Liebe oder Loyalität waren das tödlichste Gift auf Erden. Er hatte schon viele Menschen daran zugrunde gehen sehen. Darum baute er niemals Beziehungen auf. Ganz egal, ob romantisch oder nicht.

»Wie ist es in der Rebellion so?«, hakte der Schwarzhaarige weiter nach. Eine Sache, die ihn tatsächlich interessierte.

Für einen kurzen Moment schwieg Zuriel. Anscheinend dachte er über seine Antwort nach.

»Es ist schön. Zwar anstrengend, aber schön.«

Kain schmunzelte: »Das kann ich mir vorstellen.«

»Es gibt Tage, an denen wir nahezu pausenlos trainieren. An anderen schmieden wir Waffen und wer nicht schmieden kann, der kocht oder erfüllt andere Aufgaben.«

Die blutrote KräheWo Geschichten leben. Entdecke jetzt