Kapitel 13.2 - Die Straße des Lichts

536 68 128
                                    

Es dauerte nicht lange, bis die Marionetten dem Auftragsmörder folgten. Mit unmenschlich hoher Sprungkraft landeten sie auf dem Deck, einige Meter von Kains Position entfernt. Lepha hatte ihn neben ein paar Fässern abgeladen, als wäre er Abfall, den sie bei ihrem nächsten Halt entsorgen würden. Ansonsten befanden sich auf dem Deck keine nennenswerten Gegenstände. Der Boden war poliert und glänzte im Sonnenlicht und das Steuer war mit einigen Ätherkristallen besetzt. Vermutlich benötigte das Schiff trotz der Segel keine Windkraft, die es antrieb. Wenn noch mehr Äther eingebaut war, gehörte es zu den wenigen Modellen, die beinahe automatisch fuhren. Der Bau eines solchen Schiffes kostete derart viel, dass Kain die Summe nicht einmal wissen wollte. Soweit er in Kenntnis war, ankerten im Hafen von Irapra gerade einmal zwei dieser Meisterwerke. Beide gehörten dem König, dennoch war keins so groß und prachtvoll wie dieses.

»Ich übernehme das Steuer. Lasst uns endlich in See stechen«, forderte Mariel seine Kameraden auf, die zur Bestätigung nickten und sich sogleich an die Arbeit machten. Lepha holte den Anker rein, indem sie abermals ihre Magie nutzte und Raphael kümmerte sich um die Segel. Anschließend dauerte es nicht lange, bis das Schiff vom Ufer ablegte.

Mit Schrecken in den Augen beobachtete Kain, wie Reamo immer kleiner wurde und der Strand bald einem fahlen Streifen am Horizont glich. Spätestens jetzt war jegliche Hoffnung zersplittert, wie ein Spiegel, auf dem man eingeschlagen hatte.

Nur schwer trennte er sich von dem Anblick seiner Heimat, doch als das endlose Blau sie umgab, musste er sich damit abfinden, dass er womöglich nie wieder zurückkehren würde. Ein Gedanke, der sich wie ein Dolch in sein Herz bohrte. Was würde er nur ohne das Morden machen? Er brauchte das Blut, das seine dunkle Welt in den schönsten Farben färbte - mehr als alles andere. Er sehnte sich nach dem Gefühl von Macht in seinen Händen und dem Gewissen, dass er derjenigen war, der über Leben und Tod richtete. Allerdings konnte er fernab von Inido, wo es nur Geister und gestaltlose Existenzen gab, diesem Verlangen nicht nachgehen. Stattdessen würde ihn die Sucht Stück für Stück verzehren. Er war in seiner persönlichen Hölle angekommen.

Überhaupt was würden die Engel wohl mit ihm machen? Raphael hatte von Folter gesprochen, allerdings glaubte Kain nicht, dass er im himmlischen Feuer schmoren musste. Sie brauchten unter allen Umständen die Informationen, die er besaß. Möglicherweise könnte er mit der Urgöttin einen Abmachung aushandeln, so wie es Zuriel mit den Engeln getan hatte. Zumindest wäre es einen Versuch wert und schlimmer könnte es nicht kommen.

»Du schaust, als wärst du einem mutierten Tier begegnet«, scherzte Lepha und setzte sich auf ein Fass, nachdem sie ihre Pflichten bezüglich der Schifffahrt erledigt hatte. Anschließend kreuzte sie ihre Beine, beugte sie sich vor und stützte ihren Kopf mit der Hand ab. Dabei trug ihr starres Gesicht eine schelmische Note, in der Hoffnung, es könnte Kain weiter reizen. Die Krähe tat dies mit einem Augenrollen ab.

»Hast du etwas dagegen?«, erwiderte Kain und lehnte sich an die gegenüberliegenden Gitterstäbe, damit er die Marionette besser betrachten konnte. Möglicherweise konnte er die ein oder andere Information von ihr bekommen. Zumindest wäre es ziemlich hilfreich, zumal ihm Zuriels Beziehung zu den Engeln noch immer nicht ganz klar war.

Lepha kicherte heimtückisch: »Überhaupt nicht. Ganz im Gegenteil, ich finde es ausgesprochen amüsant.«

Als Antwort hob Kain beide Augenbrauen, jedoch reagierte er nicht weiter auf ihre Aussage. Stattdessen widmete er sich wichtigeren Dingen. »Ich habe ein paar Fragen.«

»Und warum sollte ich sie dir beantworten?«, äußerte Lepha ihre Skepsis und löste ihren Blick von Kain, da sie sich nach hinten lehnte. Ihr Augenmerk war nun auf den Himmel gerichtet, der noch immer keine einzige Wolke zeigte.

Die blutrote KräheWo Geschichten leben. Entdecke jetzt