Kapitel 10.1 - Die Lügen eines Engels

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Die Lügen eines Engels

Nachdem Lyra Kenshin und Zuriel im Detail darüber aufgeklärt hatte, was vorgefallen war, herrschte für einen Moment lang Stille. Der Schmiedekünstler hatte die Lippen aufeinander gepresste und runzelte besorgt die Stirn, in der Hoffnung, dass jemand die Ruhe durchbrechen würde.

Schließlich räusperte sich der zweite Anführer, welcher die Geschehnisse kritisch betrachtete: »Du behauptest also, die Marionetten wären Lakaien des Königs. Worauf basiert diese Vermutung? Deine Eltern waren Adelige. Viele aus der Bevölkerung halten das System für veraltet.«

Die Krähe nahm Augenkontakt mit Kenshin auf und schüttelte den Kopf, noch bevor dieser ausgesprochen hatte. »Ich besitze keine Beweise, die jeglichen Zweifel an dieser Theorie ausräumen könnten. Es ist lediglich eine Vermutung, die ich nicht für ausgeschlossen halte.«

»Aber was ist mit den Beweisen, von denen Lyra erzählt hat?«, mischte sich Zuriel ein und schluckte seine Unsicherheit herunter. »Warum sollten sie denken, dass du welche besitzt?«

»Nachdem man meine Eltern am Schafott hatte hinrichten lassen, wurde ich von Zuhause rausgeschmissen. Man setzte mich einfach auf die Straße, aber zuvor gelang es mir noch einige Wertgegenstände mitzunehmen. Daher auch die Pistolen. Mein Vater besaß zwar keine Veranlagung für Magie, aber er liebte es Waffen zu sammeln, die mit Äther bestückt waren. Ich habe auch sein Arbeitszimmer aufgebrochen und einige Unterlagen eingesteckt.«

Argwöhnisch hob die Göttin beide Augenbrauen, sodass sich eine schmale Falte entlang ihrer Stirn bildete. »Ich verstehe auf was du hinaus willst. Besitzt du diese Aufzeichnungen noch?«

Als Kain mit einem Kopfschütteln verneinte, zog Lyra scharf die Luft ein, während Kenshin ihn mit seinen Blicken durchbohrte. Der Auftragsmörder fühlte sich wie bei einem Verhör und die Tatsache, dass er mit drei überaus mächtigen Personen in einem Raum saß, verschärfte die Situation nochmal um ein vielfaches.

»Was ist damit geschehen?«, hakte der Krieger nach, wobei sich seine Augen verengten. Sein Anblick erinnerte Kain an einen Bären, der mit seinem kräftigen Gebiss mühelos Knochen zersplittern lassen könnte.

»Ich habe sie verkauft«, antwortete Kain. Zeitgleich senkte er die Mundwinkel und blickte betrübt zu Boden. Sein Schauspiel zeigte Bedauern, das alle drei für bahre Münze zu nehmen schienen. »Ich brauchte dringend Geld, andernfalls wäre ich womöglich einen Hungertod gestorben. Mittlerweile weiß ich zwar, wie man in der Wildnis an etwas Essbares kommt, aber damals war ich lediglich froh, dass mir überhaupt jemand die Dokumente abnahm.«

»Und in diesen Unterlagen vermutest du einen Beweis, für die Ungerechtigkeit, die deinen Eltern widerfahren ist?«, fasste der Schmied seine Worte anschließend zusammen. Inzwischen hatte er sich ebenfalls auf einem Stuhl gemütlich gemacht und seine Arme auf die Tischplatte gestützt.

»Genau«, bestätigte die Krähe und wandte seinen Kopf zu Zuriel. »Weil es so viele waren, habe ich sie nicht gelesen, aber für unwahrscheinlich halte ich es nicht.«

Kenshin gab ein Grummeln von sich, nachdem er die gesammelten Informationen noch mal im Kopf durchgegangen war: »Wenn es sich tatsächlich um Lakaien des Königs handelt, werden sie dir wohl kaum glauben, dass du nicht mehr im Besitz dieser Dokumente bist.«

»Eine Zwickmühle«, kommentierte Lyra seine Aussage. »Es bleibt uns nichts anderes übrig, als ihnen weiterhin die Stirn zu bieten. Dass wir dich wegschicken, darum musst du dich nicht sorgen, Kain. Wir sind zwar notfalls auch zu Gewalt bereit, um Arthurs Pläne zu durchkreuzen, aber wir würden niemals einen Kameraden im Stich lassen. Das geht gegen unserer Prinzipien.«

Die blutrote KräheWo Geschichten leben. Entdecke jetzt