Es sind drei Bilder.

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Wir sind wieder im Hotel. Ich gehe einfach hoch in mein Zimmer, so wie Chris eben auch. Max, Luca und Alex stehen noch unten an der Rezeption. Sonst achtet Chris darauf hinter mir zu laufen, doch heute hat er sich anders entschieden. Seit wir vom Aussichtsturm runter sind, läuft er nur noch vor mir. Er dreht sich nicht nach mir um. Nicht, dass ich etwas dagegen hätte, immerhin will ich es so. Chris soll mich eben in Ruhe lassen, doch das hat er nie gemacht. So oft ich ihn auch geärgert habe, seine Pflicht, meinem Vater gegenüber, hat er nie vernachlässigt.

Das klingt vielleicht bescheuert, doch es trifft mich. Bin ich ihm so schnell, so egal geworden? Und was war dann das an der Brücke? Er hat mich so besitzergreifend an sich gezogen... und wieder losgelassen, als wär nichts gewesen. Chris ist ein einziges Geheimnis und eigentlich kenne ich ihn gar nicht. Das wird mir schmerzhaft bewusst, je mehr ich über uns nachdenke. So vieles behält er für sich. Hat er Freunde? Was macht er in seiner Freizeit? Hat er überhaupt Freizeit? Ich sehe ihn immer nur bei mir. Nun ja, Abends geht er ja nach Hause. Wartet dort jemand auf ihn? Außer seinem Bruder kenne ich niemanden aus seiner Familie oder aus seinem Umkreis. Ich habe auch nie danach gefragt. Bin ich so selbstbezogen, dass ich das einfach nicht mitbekommen habe? Rede ich nur über mich? Will er mich deshalb nicht? Funktioniert es deswegen nicht mit uns? Ich habe noch so viele Fragen, aber will mir die Antworten nicht mehr holen. Es ist vorbei. Chris hat es gestern beendet... was auch immer das mit uns war.

Oben angekommen bleibt Chris kurz stehen, um sich zur Seite zu drehen. Also, damit ich wohl an ihm vorbei kann. Trotzdem bin ich verwirrt, weswegen er mich nun ansieht. Unsere Blicke treffen sich und es ist nicht wie sonst. Dort, wo ich sonst unsere Verbindung gespürt habe, bemerke ich nur noch Distanz. So schnell hat es sich also aufgebaut. ,,Bitte geh", fordert Chris mich auf und hält seinen Arm vor sich, um mir den Weg zu zeigen. Den kenne ich bereits, daher ist das vollkommen überflüssig. Ich öffne meinen Mund, um etwas dagegen zu setzen, doch es bleibt im Keim erstickt. Mir fällt dazu nichts ein. Mein Kopf dreht sich wie von alleine von ihm weg, meine Augen heben ihren Blick und die Tränen werden unterdrückt. Das ist so ein Witz. Ich gehe schnell an ihm vorbei und öffne eben so schnell meine Tür, nur um sie dann mit einem lauten Knall zuzuhauen. Hoffentlich zeigt ihm wenigstens das, was ich fühle.

Die Tränen bleiben vorerst dort wo sie sind. Ich gebe nicht nach, egal wie sehr er mich provoziert. Alex hat mir die Bilder geschickt, die Luca gemacht hat. Keine Sekunde vergeht, bis ich mich aufs Bett setze und auf mein Bildschirm schaue. Es sind drei Bilder. Das Erste ist eine vollkommen bescheidene Aufnahme von fünf Idioten, die nicht recht wissen, wo sie stehen sollen. Luca und Alex sehen noch entspannt aus, wie sie da an seiner Schulter lehnt. Max, Chris und ich stehen halt dahinter, im Hintergrund. Max steht gefühlt einen Kilometer weg von mir, Chris ist nur zur Hälfte zu sehen und ich schaue genervt zur Seite. Das ist so aberwitzig. Ich wische weiter und statt noch immer amüsiert zu sein, werde ich ruhiger.

Chris hatte mich an sich gezogen und Max Blick hatte ich bemerkt, dennoch sehe ich Chris an. Dieses Bild scheint besser zu sein. Chris und Max stehen gut im Bild, doch ich sehe Chris an. Unter diesem Bild hat Alex ein Kommentar verfasst. ,,Das habe ich gar nicht bemerkt! Ihr seid immer für ne Überraschung zu haben! "

Für eine Überraschung zu haben? Chris ist ein Mysterium. In dem einen Moment beansprucht er mich für sich und dann stößt er mich von sich. Hat er nicht gewusst, dass er mich damit komplett verwirrt? Außerdem hat er Max damit einfach dämlich dastehen lassen. Was hat er bloß gedacht? Also Max... oder auch Chris. Beide! Was haben beide gedacht?

Um nicht weiter darüber nachzudenken, wische ich zum dritten Bild. Doch es kommt dicker und meine Gedanken fliegen nur noch Achterbahn. Chris lächelt. Also alle lachen und dieses Bild könnte wirklich eine freundschaftliche Aufnahme sein. Dieses Bild ist wunderschön und wir sehen aus, als wären wir... ein Paar. Ich kann es einfach nicht mehr aufhalten. Die Tränen kommen nun unaufhaltsam. Es ist so unwirklich. Dieses Bild zeigt mir, wie sehr ich es mir doch wünsche. Die trügerische Stärke bricht mit jedem Blick auf Chris und das Bild, das mir meinen Wunsch präsentiert, gibt mir den Rest.

Ich will Dich!Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt