Geh.

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Dass er mich meidet, ist sicher kein gutes Zeichen.

Auch wenn alles in mir sagt, dass ich ihn einfach lassen soll, so kann ich das doch nicht stehen lassen. Seit er weiß, dass ich hier war, hat er kein einziges Wort mit mir geredet. Was auch verständlich war, als wir drinnen waren. Doch jetzt könnte er sich zu mir umdrehen, was er nicht macht. Stattdessen geht er in die Richtung des Autos und ich weiß nicht, ob ich überhaupt noch willkommen bin. 

In meinem Hals bildet sich ein fetter Kloß, doch ich muss einfach. Ich muss mit ihm reden, denn ich habe scheiße gebaut. ,,Chris", fange ich erstmal leise an. Also so laut, dass er mich schon hören sollte, doch er reagiert nicht. ,,Chris!", rufe ich also noch lauter. Er will mich einfach nicht hören. Was soll ich machen? Wir sind bereits am Auto angekommen und ohne ein Wort steigt Chris ein.

Erwartet er von mir, dass ich auch einsteige? Will er das? Mein Dickkopf sagt mir, ich soll drauf pfeifen und nach Hause laufen, doch meine rational denkende Hälfte versteht, dass nicht ich das Recht habe sauer zu sein, sondern Chris. Dass er nicht schon längst den Motor angestellt und weggefahren ist bedeutet, dass er darauf wartet, dass ich einsteige.

Ich schlucke meinen Stolz runter und steige neben ihm ein. Es ist unerträglich. Chris startet den Motor und fährt los. Derweil nehme ich meinen Mut wieder zusammen. ,,Chris, ich..."

,,Hör auf. Ich will nichts hören", unterbricht er mich grob. Die Kälte trifft mich wie ein Schlag und der Kloß im Hals droht zu platzen. Chris hält das Lenkrad so stark umfasst, dass seine Knöchel weiß hervortreten. Dass er sauer ist, kann ich nicht leugnen. War er schonmal so wütend auf mich? Wenn ja, dann kann ich mich nicht erinnern. Manchmal war er verärgert, wenn ich nicht getan habe, was er von mir erwartet hat. Doch das ist anders. Damals auf dem Balkon, hat er so hart gegen die Wand geschlagen, dass ich vor Schreck zusammengezuckt bin. Ja, ich hatte Angst vor ihm und das Gefühl schleicht sich wieder an die Oberfläche. Nicht, weil ich denke, er würde mir wehtun. Das macht Chris nicht, niemals. Doch dazu wär er in diesem Zustand mehr als nur in der Lage. Diese Tatsache macht mir Angst.

Die restliche Fahrt versuche ich nicht mehr ihn anzusprechen. Doch nachdem wir vor dem Haus meiner Eltern stehen, kann ich nicht mehr anders. So wollen wir auseinandergehen? Chris hat das Auto einfach angehalten und starrt geradeaus. Mein Blick fixiert gerade nur ihn. ,,Bitte, rede doch mit mir", flehe ich ihn fast schon an und drehe mich in seine Richtung. Plötzlich lehnt er sich über mich und öffnet meine Tür. Wow, noch deutlicher kann man mich nicht rausschmeißen.

,,Geh", höre ich nur, ohne ein Blick seinerseits. Nun hat sich doch eine Träne... oder etwas mehr in die Freiheit gekämpft.

,,Chris, du weißt doch gar nicht, was passiert ist", versuche ich noch immer, auch wenn die komplette Wahrheit nicht viel schöner ausfällt. Nun bekomme ich einen Blick von ihm. Seine Augen haben nichts mehr übrig von der Liebe, die ich vor einer Stunde noch gesehen habe. Sie sind kalt.

,,Gina, geh." Das tut weh und mein Dickkopf sagt, ich soll trotzig aus dem Auto steigen. Doch ich liebe ihn und kann ihn so nicht wegfahren lassen. Was will er machen? Mich aus dem Auto tragen?

,,Ich will nicht, dass wir uns so trennen. Chris, rede mit mir. Was kann ich tun? Es war dumm, dir nicht zu sagen, dass ich dort war, ich weiß es doch", rede ich einfach weiter und sehe seine Verzweiflung. Chris schüttelt seinen Kopf und... Ich zucke zusammen, als er mit der Faust gegen das Lenkrad schlägt.

,,Verdammt, Gina! Ich möchte gar nichts von dir. Steig aus dem Auto. Für heute sind wir durch", fährt er mich an und auch, wenn mein Körper unter Strom steht, komme ich nicht zur Vernunft.

,,Das will ich nicht..."

,,Es geht nicht mehr darum was du willst, verstehst du das nicht?", unterbricht er mich schon wieder. Sein abweisendes Verhalten tut einfach noch mehr weh, als die Zeit vor... Ja, vor gestern. ,,Ich möchte, dass du mich in Ruhe lässt. Wie deutlich muss ich noch werden?" Dabei schaut er mir direkt in die Augen. Ja, das war deutlich. So deutlich, wie die anderen Male davor auch. Bevor ich noch vor ihm losweine, schnalle ich mich ab und steige aus. Ohne nochmal nach Hinten zu gucken, gehe ich hoch in mein Zimmer, um dort mein Kissen vollzuheulen.

Ich will Dich!Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt