Braucht er mich so sehr, wie ich ihn?

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Meine Tränen sind versiegt und Chris fährt mich nun nach Hause. Es ist inzwischen dunkel... So wie in meinem Inneren. Niemals hätte ich gedacht, dass mir sowas passieren kann. Wäre Chris nicht da gewesen... Was wäre gewesen? Wäre es bei einem Mal geblieben? Hätte ich mein erstes Mal so gehabt? Dieser Gedanke lässt mir wieder die Tränen in meine Augen steigen. Ich kann nichts machen, ich muss einfach weinen. Ich umschlinge meine Beine und weine in meine Knie hinein. Bildlich gesehen funktioniert das gar nicht, aber meine Tränen prallen daran ab. 

Zu Hause angekommen, will ich nur noch ins Bett. Alleine... Die Tür geht auf und ich entdecke Papa. Papa, der dasteht und mich ansieht. Der Kloß in meinem Hals wird immer dicker, trotzdem renne ich hoch in mein Zimmer. Chris hat es ihm sicher schon gesagt. Es ist mir so peinlich. Alle haben mir gesagt, wie er ist und ich habe auf niemanden gehört. Ich bin einfach so dumm. Schnell gehe ich in mein Zimmer und schließe die Tür. Ich weine und weine, kann nicht aufhören, denn es zieht mich so sehr runter. Der Scham, dass ich zu schwach bin mich gegen einen Mann durchzusetzen, der mich missbrauchen will. Die Angst, dass es wieder passieren kann und niemand da sein wird. Die Enttäuschung, denn ich habe ihm so sehr vertraut. Ich habe mich Jonas anvertraut und er hat mich so schamlos ausgenutzt. Ich habe seinen Plan nie erkannt, ihn nicht durchschaut. Wie eine blinde Person habe ich mich ihm hingegeben. Kann es sein, dass ich einfach nicht dafür geschaffen bin eine Beziehung einzugehen? Will mich Chris deswegen nicht? Hat er schon längst herausgefunden, wie naiv und sinnlos ich bin? Wie leichtgläubig ich bin? Wie schwach? 

Wie von einer Tarantel gestochen reiße ich mir meine Klamotten vom Körper und gehe duschen. Auch wenn Jonas nicht viel geschafft hat, so fühle ich mich schmutzig. Das will ich mir wegwaschen. Ich hoffe einfach, dass ich nie wieder sojemandem begegne.

Zurück im Zimmer, setze ich mich auf mein Bett. Angezogen, sauber... Doch das schützt mich nicht vor den Erinnerungen. Ich ziehe meine Beine an meine Brust und umklammere sie mit meinen Händen. So fest ich kann, damit ich wenigstens etwas im Leben kontrollieren kann. 

Ich höre nicht, wie jemand ins Zimmer reinkommt und mich in den Arm nimmt. Es riecht nach Papa und auch wenn ich nicht daran gedacht habe, so sehr habe ich es mir gewünscht. Ich klammere mich an Papa und weine. Es macht mich fertig zu wissen, dass ich eine Enttäuschung für Mama und Papa sein muss. Sonst kommt Mama zu mir, um mich zu beruhigen. Jetzt ist Papa da. Er ist genau das, was ich brauche. Meinen Papa, der stark, wie ein Fels hinter mir steht, egal was ich anstelle. ,,Hey, alles wird gut, mein Schätzchen. Wir sind überglücklich, dass dir nichts passiert ist", flüstert Papa und ich klammere mich fester an ihn. 

,,Es tut mir leid, Papa", wimmere ich und bekomme sonst nichts raus. Ich hoffe, das reicht, denn ich weine nur. Papa schüttelt seinen Kopf über meine Entschuldigung und nimmt mich fester in den Arm. 

Irgendwann schlafe ich ein und merke, wie Papa mich ins Bett legt und sanft zudeckt. 

-

So sehr ich es versuche, ich kann nicht lange schlafen. Es ist mitten in der Nacht und ich muss ständig an Jonas denken. An dieses Szenario zwischen ihm und mir... Wie er mich wochenlang betrügen konnte... Wie Chris dazwischen gegangen ist... 

Ich muss mich bedanken. Nicht einmal zum Geburtstag habe ich ihm gratuliert. Was bin ich nur für eine schreckliche Person? Da ich sowieso Durst habe, gehe ich raus aus meinem Zimmer. Weit komme ich nicht, da Chris davor steht und mich direkt ansieht. 

Jess (Ginas Mama)

Wie ein Feigling verstecke ich mich hinter der Küchentür. Meine Tränen fließen meine Wangen hinunter und wollen nicht versiegen. Meine Tochter... meine arme, kleine Tochter...

,,Hast du fest zugeschlagen?", fragt Dave Chris ernst. Ich merke, wie schwer es Dave fällt ruhig zu bleiben und Gina nicht einfach hinterher zu rennen, hoch in ihr Zimmer. 

,,Als wir gingen, lag er noch gebrochen da", antwortet Chris mit der gleichen Ernsthaftigkeit. Das wird Dave fürs erste besänftigen, bis er morgen zu der Familie stürmt.

,,Danke", bedankt sich Dave. Ein ehrliches Danke, denn er ist erschüttert, dass er Gina davor nicht bewahren konnte. So gut wie er sie auch versucht zu beschützen. Wir können ihr nicht immer die schlechten Dinge vorenthalten. Chris war heute Ginas Glücksbringer und dafür wird Dave ihm immer zu Dank verpflichtet sein. Chris geht hoch zu Gina und wird vor ihrer Tür warten. In soweit kenne ich die Beziehung zwischen den Zweien. Gina erzählt mir nichts, aber ich merke, wie sehr sie diesen Jungen mag. Wie sich ihr Gesicht aufhellt, wenn sie ihn sieht... Wie er auftaut, wenn sie ihn anlächelt... 

Ich bemerke, während meiner Grübelei nicht, wie Dave sich von Hinten an mich heranschleicht. ,,Hey", flüstert er mir ins Ohr. Das bringt mich nur noch mehr zum Weinen. Ich drehe mich zu ihm um und sehe in seine traurigen Augen. 

,,Es tut mir leid", entschuldige ich mich. Sein Daumen streicht über meine Wange und zeigt mir, wie sehr er mich liebt. Diese Liebe wird an keinem Tag weniger, sie wächst und das berührt mich an jedem Tag ein Stückchen mehr. 

,,Jess, es ist nicht deine Schuld", versichert er mich und nimmt mich in den Arm. Es versetzt mich in meine Zeit zurück. Die Zeit mit Joshua... In der er mich gestalkt hat... mich manipuliert... sich zu meinem Freund gemacht hat und mich solange kaputt gemacht hat, bis er mich soweit hatte...

Ich kann nicht beschreiben, wie dankbar ich bin, dass Gina die Erfahrung der Vollendung nicht zu spüren bekommen hat. Mich verfolgt sie bis heute. 

,,Ich kann meine Tochter nicht vor dem Schicksal bewahren, dass ich einst hatte... Was ist nur los mit dieser Familie?", frage ich eher mich und ertränke Daves Hemd. 

,,Hey, es ist vorbei. Denk bitte nicht mehr daran, Jess. Du bist eine großartige Mutter, okay? Du hast großartiges geleistet und nichts, was Joshua damals getan hat, kann man hierauf zurückführen. Nichts, was damals oder heute passiert ist, kann deine Schuld sein. Denk sowas nicht. Verstanden?" Dave umklammert mein Gesicht und sieht mich an. Sein durchdringender Blick zwingt mich ihm zu glauben und ich mache es. Trotzdem bin ich nicht bereit für ein Gespräch mit meiner Tochter. So sehr schäme ich mich dafür. 

Gina

Sein Blick, seine Präsenz, seine Haltung... Alles zieht mich zu ihm. Ich bin so sehr verliebt in Chris. Er guckt auch nicht weg. Ich sehe, wie er sich bremsen muss und mit sich hadert. Dabei muss er einfach nur seinem Herzen folgen. ,,Ich... Ich kann nicht schlafen", erkläre ich mich. Sonst würde keiner von uns was sagen. Chris macht einen Schritt auf mich zu. Allein dieser Schritt hat uns so viel näher zueinander gebracht, dass ich es kaum aushalten kann. 

,,Soll ich dir etwas holen?", fragt Chris mich und hofft wohl sehr, dass ich Nein sage, denn das würde bedeuten, er müsste mich alleine lassen. Ich sehe, wie sehr es ihm missfällt das auch nur in Betracht zu ziehen, also schüttle ich leicht meinen Kopf. Immerhin will ich auch nicht, dass er geht. 

Ich verliere mich in seinen Augen und sein Blick reicht aus, dass alles aus mir heraus kommt. Der Kloß in meinem Hals kommt wieder und bricht aus. ,,Was ist falsch mit mir, Chris?", frage ich mit gebrochener Stimme. Es schmerzt Chris sichtlich das zu hören und mit einem Mal, schiebt er mich ins Zimmer und schließt die Tür. 

Chris umfasst mein Gesicht und zwingt mich ihm direkt in seine zerbrechlichen Augen zu sehen, die in meine Tränen erfüllten Augen blicken. ,,Nichts ist mit dir falsch, Gina. Du bist wunderbar, du bist einfach perfekt", haucht er. ,,Du bist wunderschön und klug... Dieser Mistkerl ist einer, der die Schönheit eines Menschen nicht erkennt, selbst wenn sie vor ihm steht. Er ist es nicht wert, dir Gedanken um ihn zu machen. Er ist es nicht wert, dass du dich schlecht fühlst. Er ist es nicht wert, dass ein Mädchen wie du, an ihm den Glauben an Liebe verliert... Er ist es nicht wert, dass wir überhaupt über ihn reden, ein Wort darüber zu verlieren, ist eines zu viel, verstehst du? Du bist das atemberaubendste Mädchen, das mir je über den Weg gelaufen ist, Gina. Denk niemals, dass du nichts wert bist. Denk niemals, dass du an allem Schuld bist und bitte, denke niemals, dass du falsch sein könntest. Denn du bist für mich, mehr als nur genau richtig, okay?" Mir fließen die Tränen über mein ganzes Gesicht und ich meine zu erkennen, dass auch Chris Augen glitzern. Ich umklammere ihn fest und werde förmlich von ihm zerquetscht. Er hängt sich an mich, wie an ein Rettungsanker. Braucht er mich so sehr, wie ich ihn?

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