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„Ha!", wurde ich von Theo aus meinen Gedanken gerissen, „Die Kameras funktionieren wieder!", triumphiert er.

„Echt? Zeig mal her", sagt Max und beugt sich neugierig über die Schulter seines Bosses.

„Da ist ja gar niemand", stellt er verwundert fest, „Falscher Alarm?"

„Nein, glaube ich nicht", erwidert Theo und beäugt nachdenklich den Bildschirm vor sich, „Die Bewegungsmelder schlagen immer noch Alarm. Irgendwas ist da draußen."

Der große Blondhaarige mustert weiterhin die Live-Übertragung der Kameras: „Scheiße!", ertönt es plötzlich von ihm, „Die haben unsere Kameras gehakt und lassen eine Dauerschleife laufen, wer weiß, was die gerade dort draußen anstellen. Wir sind blind. Da waren echte Profis am Werk", äußert er sich und schaut schlecht gelaunt in die Runde, „So viel zum Thema die Kameras können nicht gehakt werdend", äfft Theo den Verkäufer nach, „Mit dem habe ich aber ein Hühnchen zu rupfen, falls wir hier alle heil raus kommen!"

„Alter, das ist übel. Ganz übel", meint Lucien und beginnt unruhig im Raum auf und ab zu gehen.

Max fährt sich gestresst durch seine roten Haare und schaut Theo durchdringend an: „Bekommst du das wieder hin?"

„Ich denke schon", antwortet dieser und schaut erneut nachdenklich auf den Bildschirm, „Aber das wird eine gute Stunde dauern."

„Gut, solange halten wir Anderen die da draußen in Schach!", äußert sich Lucien, „Wir verteilen uns im Haus und gehen an die Scharfschützen-Positionen. So sehen wir hoffentlich was da draußen los ist und können reagieren falls sie zum Angriff ansetzen", erteilt der Braunhaarige die Befehle.

„Klingt nach einem Plan", stimme ich Max zu, „Ich gehe auf den Dachboden."

„Gut. Lucien du gehst in die Küche und ich versuche vom Hauptschlafzimmer einen Blick auf unsere Angreifer zu erhaschen", bestimmt Max, „Bro, ich hoffe du bekommst das schnell wieder hin", wendet er sich an Theo, bevor er das Zimmer verlässt.

„Du schaffst das schon", ermutige ich meinen guten Freund, drücke hoffnungsvoll seine Schulter und verlasse dann ebenfalls den Wohnbereich der Villa.

Nachdem ich mir, gemeinsam mit den Jungs, im Keller ein schwarzes Gewehr geholt habe, erklimme die Stufen in den ersten Stock und angele dann, mit Hilfe eines Hakens, nach der Klappe des Dachbodens. Mit diesem öffne ich die Luke und klettere, die daran befestigte, Leiter nach oben. Der Dachboden ist groß und mit einigen Kartons vollgestellt. Zu meiner Überraschung entdecke ich nur wenige Spinnennetze und Staub kann ich mit bloßem Auge auch keinen entdecken. Scheinbar macht die zuständige Reinigungskraft ihren Job gut. Da ich nicht sehr groß bin, kann ich hier oben problemlos aufrecht stehen und muss erst ab den Dachschrägen auf die Knie gehen.

Ich taste mich bis zu dem kleinen Loch im Dach vor, an dem ich perfekt das Scharfschützengewehr anlegen kann. Das Zielrohr passt wie angegossen durch die wenige Zentimeter große Öffnung und mit Hilfe der eingebauten Kamera kann ich nun endlich einen Blick nach draußen werfen.

Und was ich dort sehe lässt mich erstarren. Scheiße!
Mir läuft ein kalter Schauer den Rücken hinunter, denn ganz lässig an einen der schwarzen SUV's angelehnt, steht mein verhasster Bruder. Er und einige unserer (oder jetzt wohl eher seiner) Männer, stehen verteilt um das große Tor, welches das Grundstück sichert. Ich zähle sechs Wägen und insgesamt zwanzig Männer. Das ist eine ganze Menge! Das ganze Team ist ausgerüstet mit schweren Waffen und sie scheinen uns nicht unbedingt freundlich gesinnt zu sein. Zum Glück sind sie so dumm und haben die Scheinwerfer ihrer Autos an, so kann ich trotz der Dunkelheit alles erkennen. Quentin und seine Männer ziehen meinen Blick an, wie eine Motte das Licht. Ich schätze, dass Max und Lucien unsere Bedrohung ebenfalls bestens erkennen können und alles aufmerksam im Auge behalten.

Mein Bruder telefoniert angestrengt und gestikuliert dabei wild in der Luft herum. Sein Blick schweift dabei immer wieder in Richtung Villa und irgendwann stößt er sich von dem Auto ab und läuft zu Gulio, unserem Foltermeister.
Doppel Scheiße!
Wenn Gulio dabei ist, bedeutet das erst Recht nichts gutes. Quentin ist nicht hier um Spielchen zu Spielen.

Zu unserem Nachteil sind wir deutlich in der Unterzahl, vier gegen zwanzig wird schwierig. Unser einziger Vorteil ist, dass Theos Eltern die Villa so gut ausgestattet haben. Wir müssen diesen Vorteil klug nutzen und meinen Bruder loswerden - schnellstmöglich.

Ich beobachte die Männer vor dem Tor lange - mein Zeitgefühl sagt mir etwa eine dreiviertel Stunde. Es tut sich nicht viel. Quentin hat das Handy inzwischen zur Seite gelegt und bespricht sich seit geraumer Zeit mit Mike und Gulio. Es ist ein richtig beschissenes Gefühl zu sehen, wie meine einstigen Kollegen, nun gemeinsame Sache mit meinem Bruder machen. Gegen mich, wohlgemerkt. Ich kann mir zwar denken, dass die beiden und auch alle anderen, keine Wahl haben, aber trotzdem fühle ich mich ein bisschen hintergangen.

Mike war zu früheren Zeiten mein sogenannter Sekundant, er lernte von mir und führte das Team an, wenn ich nicht mit auf Einsätze konnte. Nach zwei Jahren wurde er von meinem Vater befördert und hat von da an sein eigenes Team geführt. Dieser Gedanke belastet mich. Bevor Quentin sich eingemischt hat, war mein Leben perfekt. Und die Tatsache, dass meine ehemaligen Leute und ich nun auf gegnerischen Seiten stehen, schmerzt. Ich weiß, dass sie Quentins Befehlen folge leisten müssen. Nach meinen Beobachtungen hat mein Bruder nun das Sagen, was mit meinem Vater geschehen ist weiß ich nicht.  Ob überhaupt etwas geschehen ist, weiß ich auch nicht.

Als zwei der Männer dort unten dem Tor verdächtig nahe kommen, spannt sich mein kompletter Körper an und mein Finger zuckt am Abzug. Ich kneife meine Augen zusammen und versuche zu erkennen, was der Rechte in der Hand hält. Doch vergeblich, so gut ist die Kamera an meiner Waffe leider nicht. Die beiden Männer stehen jetzt direkt vor dem Tor, dass uns und sie noch räumlich voneinander trennt. Ich verändere leicht meine Position, um beide im Visier zu behalten. Ich möchte keinen meiner ehemaligen Männer erschießen, aber wenn mir nichts anderes übrig bleibt, werde ich den Abzug betätigen.

Der Dunkelhaarige der beiden geht drei Schritte nach vorne und steht nun direkt vor dem schwarzen, ungefähr zwei Meter hohem, Einfahrtstor. Er dreht sich noch einmal zu seinem Partner um und bringt dann vorsichtig etwas an dem Tor an. Verdammt, was ist das? Kaum sitzt der Gegenstand in Position, treten Beide schnellen Schrittes zurück und gesellen sich zu Quentin.

Es ertönt ein kaum zu hörendes Piepen und darauf folgt ein ohrenbetäubender Knall. Bevor ich richtig realisieren kann, was gerade passiert, explodiert das große Tor vor meinen Augen. Das schwarze Metall gibt unter dem zuvor angebrachten Sprengstoff nach und fliegt in mehreren kleinen Teilen durch die Luft. Es raucht heftig und die Männer dort unten halten sich ihre Hände schützend vor das Gesicht. Das zufriedene Grinsen auf Quentins Gesicht ist nicht zu übersehen.

Jetzt geht es wohl los.
Mein Bruder wird mich holen kommen - mit oder ohne Blutvergießen.

Forced Love | ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt