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Mein Bruder Quentin sollte nicht hier sein. Er sollte in Deutschland bei einem Freund meines Vaters sein und dort seine Ausbildung absolvieren.

Nebenbei erwähnt war ich bisher froh gewesen, dass Quentin seit geraumer Zeit nicht mehr bei uns wohnt. Er wurde mit dem Alter immer unberechenbarer und unkontrollierbarer, eine gefährliche Mischung. Außerdem hat er einmal Moira geschlagen, bloß weil sie ihm in einer Nichtigkeit widersprochen hatte. Alles in allem bin ich kein großer Fan meines ein Jahr jüngeren Bruders.

„Hallo Schwesterherz", grinst er mich dann auch schon hinterhältig an. Sein blondes Haar ist kurz geschoren, wodurch seine kalten braunen Augen besonders hervorstechen. Außerdem scheint er trainiert zu haben, da seine Brust eine beeindruckende Breite aufweist. Was hat er hier verloren? Und noch wichtiger, was zum Teufel hat er vor?

„Hi", erwidere ich knapp und schaue dann abwartend zu meinem Vater, der es sich in seinem breiten Sessel gemütlich gemacht hat, „Also, was gibt es so Dringendes zu besprechen?"

Mein Vater trommelt mit seinen Fingerspitzen auf seinem dunkelbraunen Schreibtisch, das macht mich nervös. Ich verlagere mein Gewicht auf meinen anderen Fuß, streiche mir eine meiner blonden Haarsträhnen aus dem Gesicht und schaue weiterhin abwartend zu dem Mann vor mir.

„Du wirst heiraten."

Stopp, Stopp, Stopp! Einmal zurückspulen.
Er hat nicht gerade heiraten gesagt, oder? Das muss ein Missverständnis sein!

„Heiraten?!", keuche ich entsetzt und schaue meinen Vater vorwurfsvoll an. Das kann er mir nicht antun. Er braucht mich doch. Ich bin schließlich seine rechte Hand.

„Ja, du wirst heiraten! Quentin hat mich davon überzeugt wie wichtig es ist, dass eine Frau mit einem angemessenen Mann verheiratet ist. Er wird fortan deine Aufgaben als meine rechte Hand übernehmen", er schaut mich direkt an und ich erkenne keine Regung in seinem Gesicht. Okay? Die Stimmung meines Vater hat aber schnell von ich liebe meine Tochter in ich verkaufe meine Tochter an den Meistbietenden gewechselt.

Und was war das dann vorhin im Keller? Von wegen was würde ich nur ohne dich tun Lillian äffe ich ihn in Gedanken nach. Scheinbar konnte Quentin ihn schnell davon überzeugen, dass ich nicht so unverzichtbar bin wie ich immer gedacht hatte.

„Aber", setze ich trotzdem an, um vielleicht doch noch etwas zu retten.

„Da gibt es nichts zu diskutieren Lillian! Am Wochenende werden wir eine Feier veranstalten. Dort kannst du dann deine potenziellen Ehepartner kennenlernen", werde ich von meinem Vater unterbrochen. Schnell schließe ich meinen Mund wieder, den ich gerade geöffnet hatte um etwas zu erwidern.

Jetzt heißt es, dass Beste aus der Situation zu machen. Wenn mein Vater sich einmal etwas in den Kopf gesetzt hat zieht er das auch durch und ich weiß genau, umso mehr ich versuche ihn umzustimmen, umso schlimmer wird es am Ende.

„Ich habe bereits mit Hermann gesprochen, er hat einige seiner vielversprechenden Kandidaten eingeladen. Schließlich ist meine reizende Schwester auch für die Herren ein guter Fang", mischt sich Quentin ein und lächelt mich überlegen an.

Ein guter Fang? Ist das sein Ernst? Das klingt als wäre ich ein tausend Dollar teurer Löwe der jetzt an den Meistbietenden verkauft wird.

Für meinen Bruder ist das was gerade passiert der Jackpot. Er ist schon ewig darauf aus die Geschäfte meines Vaters zu übernehmen (und höchstwahrscheinlich mit seinen Methoden ins Unglück zu stürzen) und lechzt nach meinem Platz. Obwohl ich eine Frau bin, die in der kriminellen Welt meist nicht viel zu sagen hat, habe ich mir den Respekt der Männer hart erkämpft und werde an der Seite meines Vaters widerstandslos akzeptiert, womit ich schon immer Quentins Neid und Hass auf mich gezogen haben.

Das Wort Heirat ist bisher nie gefallen und dann taucht mein machthungriger Bruder auf und plötzlich soll ich verheiratet werden? Na danke. Auch der Anruf von Hermann Fernández ist jetzt zu erklären: er rief wegen mir an, weil ich verheiratet werden soll.

Ich kann mein Unglück kaum fassen. Meine Zukunft wird aus einer lieblosen und womöglich gewalttätigen Ehe innerhalb der Mafia bestehen, dann bekomme ich ein paar Kinder und gut ist. Tolle Aussichten. Danke Quentin.


„Wie bitte was? Du musst heiraten?! Das kann Dad dir nicht antun", regt sich Thea nun schon seit über zehn Minuten auf, „Er weiß genau wie wichtig du für seine Geschäfte bist. Der wird sich schön ärgern wenn du irgendwo in Europa oder weiß Gott wo sitzt und Quentin, dieser Bastard, hier alles ins Chaos stürzt", zetert sie auch schon weiter.

Sie läuft vor ihrem Bett, auf dem ich es mir gemütlich gemacht habe, aufgebracht hin und her und fährt sich immer wieder durch ihre langen blonden Haare.

„Ich habe versucht mit Dad zu reden, aber der war voll überzeugt. Das ist bestimmt Quentins Werk."

„Oh Gott!" ruft sie plötzlich aus, „Was ist wenn Moira, Annalise und ich gezwungen werden deinem Beispiel zu folgen und auch jemanden aus der kriminellen Struktur heiraten müssen? Was, wenn Quentin uns alle nacheinander loswerden möchte? Er beginnt logischerweise bei dir. Du bist die, die am meisten Einfluss auf unseren Vater hat und wenn du weg bist ebnet das für ihn den Weg zum Clanführer."

„Mann Thea, ich will nicht heiraten. Du kennst doch die ganzen Männer aus unserer Welt: wir sind ja so toll, so mächtig und viel besser als ihr Frauen blablabla. Außerdem sind die meisten von denen schon über 50. Ach du scheiße, was ist wenn ich so einen alten Sack heiraten muss?", rufe ich panisch von meinen Gedanken aus.

„Nein, das glaube ich nicht. Zwar will Dad dich verheiraten, aber du bist immer noch sein Liebling. Ich denke, du hast relativ freie Wahl. Klar, einen bedeutungslosen kleinen Wicht wird er dich nicht heiraten lassen, aber alles was höherrangiger ist dürfte kein Problem sein", beruhigt mich meine Schwester lächelnd.

„Ich hoffe es", meine ich und stoße verzweifelt die Luft aus, „Wir werden ja sehen was für Männer am Wochenende zu der Feier erscheinen."

„Oh, vielleicht kriegst du ja so einen richtig heißen Mafiaboss ab! Das wär krass", und da ist wieder meine naive und verträumte kleine Schwester, keine Spur mehr von der vorherigen Aufregung.

„Ach Thea, träum mal nicht so viel. Du liest einfach zu viele Liebesschnulzen."

„Aber stell dir doch mal Quentins Blick vor wenn du einen der Clanführer abbekommst", lacht die Blondine vor mir, „Und ich hoffe es außerdem für dich: so ein heißer Mafiaboss wäre genau das Richtige für dich, Schwesterherz."

„Thea. Ich will doch gar keinen von den Clanführern. Das würde ein Leben im goldenen Käfig bedeuten, ich wäre dauernd unter Beobachtung und ich dürfte bestimmt keine Einsatztruppen mehr leiten."

„Mensch, du mit deinen Einsätzen immer. Ich werde nie verstehen was du so toll daran findest mit den Soldaten um die Häuser zu ziehen und das Schutzgeld einzutreiben oder was ihr da sonst noch immer so tut", Thea schüttelt verständnislos ihren Kopf und setzt sich endlich auf ihren Schreibtischstuhl.

Forced Love | ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt