Kapitel 3

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„Geht's wieder?"

Nicholas Engel nickte. „Ja, ja, alles gut", murmelte er und biss noch einmal von dem alten Schokoriegel ab, den ich aus meiner Tasche gekramt hatte. Etwas, um seinen Blutzucker zu erhöhen, dazu hatten die Sanitäter geraten, die mir gerade eben grünes Licht gegeben und mich zu ihm vorgelassen hatten. Jetzt, wo er hinten auf der Kante des Krankenwagens saß, immer noch blass um die Nase, mit einem zerdatschten Schokoriegel in den zittrigen Händen, wirkte er nicht mehr so groß wie vorhin. „Ich bin okay."

„Was war das denn?", fragte Florian, der nun auch dazu kam und sich mit vor der Brust verschränkten Armen neben mich stellte.

Nicholas schluckte den nächsten Bissen Schokoladen-Haferflocken-Gemisch herunter und meinte vage: „Mir ist wohl kurz ein bisschen schwindlig geworden. Nichts Dramatisches."

„Sah aber ziemlich dramatisch aus", gab Florian zurück und musterte ihn scharf. Irritiert runzelte ich die Stirn. Wieso war er ihm gegenüber so feindselig? Es konnte doch nicht wirklich immer noch um die Tatsache gehen, dass ich versucht hatte, Nicholas Engels Sturz abzufangen, das wäre ja... kindisch. Nach einem Moment des Innehaltens fiel mir auf, dass das ein Wort war, das leider manchmal zu meinem Kollegen passte. „Aber wenn jetzt wieder alles in Ordnung ist, kannst du uns jetzt ja mal aufs Revier begleiten."

Nicholas ließ die Hand mit dem Schokoriegel sinken. „Bin ich verdächtig?"

Im selben Moment, in dem ich „Nein, noch nicht" sagte, meinte Florian kühl: „Vielleicht." Er zuckte die Achseln. „Immerhin kennst du die Tote und bist mit ihr verwandt. Die meisten Morde werden von Verwandten und Bekannten begangen. Außerdem warst du offensichtlich in der Nähe des Tatorts."

Nicholas schluckte. „Ich..."

„Sie haben gerade einen ziemlich großen Schock erlitten", schaltete ich mich ein, damit er nicht irgendetwas Dummes sagte, nur um sich gegen Florians unangemessene und voreilige Verdächtigungen zu verteidigen. „Wie mein Kollege sagte, müssen wir natürlich mit Ihnen als Angehörigem des Opfers reden, aber ich halte es für sinnvoller, die Vernehmung zu einem Zeitpunkt zu führen, an dem Sie sich wieder erholt haben."

„Weiler." Florians ungeduldiger Tonfall zwang mich dazu, meine Aufmerksamkeit auf ihn zu richten. Er sah mich unter zusammengezogenen Augenbrauen an. „Das hier ist ein Mordfall. Eine Kollegin ist erschossen worden und er hier ist ihr Halbbruder. Du weißt, was das bedeutet." Ja, das wusste ich ganz genau. Das bedeutete Druck. Zeitdruck, weil ein Mörder frei herumlief und eventuell wieder zuschlagen konnte. Und Druck durch das Revier, denn wenn ein Polizist getötet wurde, war das immer etwas anderes. Das wurde persönlich genommen, als Angriff auf das ganze Revier. Deshalb wusste ich auch ganz genau, dass es wahrscheinlich keiner gutheißen würde, wenn ich die Vernehmung eines möglicherweise Verdächtigen nicht so früh wie möglich durchführte. Aber ich weigerte mich, Florian die Bestätigung zu verschaffen, das alles laut auszusprechen. Vielleicht war ich da auch ein wenig kindisch.

Weil ich nichts sagte, fixierte Florian mich nur noch fester mit seinem Blick und sagte ernst: „Auf ein Wort. Unter vier Augen."

Ich war geneigt, genervt zu reagieren und ihm zu sagen, dass er aufhören sollte, so ein Drama zu machen, aber gleichzeitig wusste ich auch, dass er Recht hatte: Wir sollten reden. Wir waren immer noch Partner, also mussten wir kommunizieren, uns absprechen, Gedanken austauschen und uns einig werden. Das gehörte dazu, das war unser Job.

Also willigte ich ein und wir traten ein paar Schritte von Nicholas Engel weg – allerdings erst, nachdem Florian einem nahe stehenden Beamten in Uniform mit einer Kopfbewegung zu verstehen gegeben hatte, dass er auf Nicholas aufpassen sollte. Als ob das notwendig wäre. Ich verdrehte die Augen.

Spiel mit dem MörderWo Geschichten leben. Entdecke jetzt