Kapitel 20

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„Schön, dass es endlich mal wieder geklappt hat."

Meine beste Freundin saß mir gegenüber an einem Tisch, den sie ausgesucht hatte, nachdem ich schon das Restaurant ausgesucht hatte – und das auf den letzten Drücker. Eigentlich hätten wir in einem Lokal am Marktplatz gegessen, aber ich hatte diesen Plan kurzfristig aus zwei praktischen Gründen geändert. Der erste Grund war, je weiter das Restaurant von der Polizeiwache entfernt war, desto überzeugender könnte ich argumentieren, für den Fall, dass ich Lehmanns Frist nicht einhielt und das Gespräch doch noch ein bisschen hinauszögerte; irgendetwas mit zu viel Verkehr oder vorübergehenden Straßensperrungen würde mir schon einfallen. Und der zweite Grund war, dass ich mich in einem Restaurant so dicht an meiner Arbeitsstelle sowie auch an der Stelle, an der ich meinen zweiten Spielstein platziert hatte, niemals auf das Essen oder auf meine Freundin konzentrieren könnte, weil ich mich die ganze Zeit fragen würde, ob mein Vorgesetzter mich nicht gerade missbilligend durch sein Fenster beobachtete oder ob der Mörder in der Nähe war, um entweder mich oder meinen Zug zu sehen.

Wahrscheinlich eher mich, denn mein Zug war ziemlich offensichtlich gewesen und daher wohl nicht sonderlich interessant. Der Mörder hatte sich schließlich erneut die Möglichkeit eröffnet, eine Mühle zu bilden, und insofern hatte ich gar keine andere Wahl gehabt, als den Strauß Christrosen auf dem Spielfeld zwischen den Fundorten der letzten beiden Opfer zu platzieren, um diese Mühle zu verhindern, die er andernfalls mit seinem nächsten Zug geschlossen hätte. Dass er in diesem Spiel, das genau genommen gar kein Spiel war, so sehr die Oberhand hatte, gefiel mir nicht, aber was sollte ich machen? Ich hatte nicht sonderlich viel Ahnung von Mühle und anscheinend auch nicht davon, wie man Serienmörder schnappte.

Vor allem aber hast du keine Ahnung davon, wie man seine einzige Freundin behandeln sollte. Kleiner Tipp: Ihr nicht zuzuhören ist nicht die richtige Art.

Oh. Erst jetzt fiel mir auf, dass Isabela wahrscheinlich gerade etwas gesagt hatte, zumindest ihrem erwartungsvollen Gesicht und den Anfängen einer gerunzelten Stirn nach zu schließen. Doch daran erinnern, sie etwas sagen gehört zu haben, konnte ich mich nicht, und schon gar nicht daran, was sie denn inhaltlich von sich gegeben hatte.

Um mir nicht anmerken zu lassen, dass ich ihr nicht zugehört hatte, versuchte ich es auf Teufel komm raus mit einem hoffentlich möglichst nichtssagenden und irgendwie halbwegs passenden: „Ja, finde ich auch."

Die Falten ihrer Stirn vertieften sich. Mist. Offenbar hatte ich auf die falsche Antwort aus meinem Standard-Repertoire gesetzt. „Alena", meinte sie in einem für ihre Verhältnisse als sonst sehr vertrauensvolle Person argwöhnischen Tonfall. Okay, wenn sie schon so anfing, dann kam ich mit meinem Nichtzuhören sicher nicht durch. „Warum habe ich nur das Gefühl, dass das gerade eine Standardfloskel war, die rein zufällig zu dem gepasst hat, was ich gesagt habe?"

Aha, also bestand doch noch eine Chance, mich rauszureden und so zu tun, als hätte ich ganz bewusst das Richtige gesagt und ihr vorhin aufmerksam zugehört. Doch eigentlich wollte ich meine beste und einzige Freundin gar nicht anlügen.

Du solltest sie auch nicht anlügen.

Ja, ich wusste, dass ich das nicht tun sollte, und daher entschied ich mich auch dagegen und entschuldigte mich: „Du hast Recht, ich war gerade gedanklich woanders, tut mir leid." Dabei sollte ich im Hier und Jetzt sein, bei meiner besten Freundin, und die Zeit mit ihr genießen, diese kurze Gelegenheit, mich von meinen Sorgen ein bisschen abzulenken und mich einfach nur darüber zu freuen, Isabela endlich mal wieder zu treffen, nachdem ich die letzten paar von ihr initiierten und geplanten Treffen immer entweder schlichtweg vergessen, weil ich zu viel anderes im Kopf gehabt hatte, oder mehr oder weniger kurzfristig abgesagt hatte, weil ich die Arbeit priorisiert und doch noch zu viel zu tun gehabt hatte. Ich war es ihr schuldig, dieses eine Treffen, das ich ausnahmsweise mal nicht abgesagt hatte, vollständig wahrzunehmen und mich darauf und auf nichts anderes zu konzentrieren. Sie verdiente meine volle Aufmerksamkeit und sie sollte sie auch bekommen.

Spiel mit dem MörderWo Geschichten leben. Entdecke jetzt