Kapitel 35

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Auch jetzt war der Marktplatz hell erleuchtet. Aber es war nicht mehr das warme Licht der Lichterketten, welche die Arkaden umrankten, das vorhin, als ich mit Arian hier gewesen war, den Platz erleuchtet hatte. Nein, das Licht jetzt war kalt und blendend hell. Denn an die Stelle der Lichterketten waren grelle Baustrahler getreten. Die den Tatort beleuchteten.

Ich musste nichts sagen, als ich auf den Tatort zutrat, keinen Ausweis vorzeigen oder mich vorstellen, da alle Kollegen, die vor dem Artikel noch nicht gewusst hatten, dass ich an dem Fall dran war, es spätestens seit heute Vormittag wussten. Oder besser gestern Vormittag, immerhin war es schon nach Mitternacht. Ein paar von ihnen, Kollegen in Uniform und auch Teile der Spurensicherung, sahen mich etwas zu lange an, nachdem sie zurückgewichen waren und mir den Weg frei gemacht hatten, aber ich versuchte, die Blicke zu ignorieren und mich nur auf die Erfassung des Tatorts zu konzentrieren.

Als Erstes fiel mein Blick auf die Blumen, den Strauß weißer Rosen, der auf dem Boden lag, nicht ganz so sorgfältig platziert wie bisher immer, aber ein eindeutiges Zeichen dafür, wessen Werk das hier war. Als hätte ich das noch gebraucht. Der Fall war klar: ein Mord um Mitternacht, auf dem Mühlefeld, an einem Mann, den ich mehr auf dem Schirm hätte haben sollen, weil ich mir hätte denken können, dass unser Mörder ihn ins Visier nehmen könnte. Vor allem nach der Sache mit dem Artikel, vielleicht auch, sofern der Mörder es irgendwie geschafft hatte, unbemerkt die Polizeiwache zu verwanzen, wegen des Gesprächs heute Vormittag. Wegen dem, was er da gesagt hatte.

Immerhin stehst du auf sie, also hast du offensichtlich einen seltsamen Geschmack.

Rational betrachtet kein Grund, jemanden umzubringen. Aber unser Mörder dachte nicht rational, das wusste ich doch mittlerweile. Und ich wusste auch schon, was mich erwartete, als unsere Pathologin Frau Fischer nach einem kurzen Blick über die Schulter ein Stück zur Seite rückte und mir damit die Sicht auf den Toten freigab. Auf Thomas Pfälzer, mit einem blutigen Einschussloch, perfekt in der Mitte der Stirn. Ja, der Mörder war tatsächlich ein sehr guter Schütze. Sehr gut ausgebildet. Sehr zielsicher. Selbst bei so einem Schuss. Bei einem Schuss auf...

„Frau Weiler, ich..." Was auch immer sie hatte sagen wollen, Frau Fischer sprach ihren Satz nicht zu Ende, sondern biss sich nur auf die Lippe und richtete ihren Fokus dann schnell wieder auf die Leiche vor ihr. Und das war auch besser so. Was hätte sie schon sagen können, um diese Situation besser zu machen? Um zu ändern, wen ich gleich zu Gesicht bekommen würde, sobald ich die Polizeistation betrat und die Tür zum Vernehmungsraum öffnete? Nichts. Nichts, was sie hätte sagen können, hätte irgendetwas daran geändert.

„Sie geben Bescheid, wenn die Autopsie fertig ist?", fragte ich knapp. Darüber, höflicher zu sein, konnte ich mir gerade keine Gedanken machen, denn zum einen wollte ich nicht noch unnötig länger bei Pfälzers Leiche stehen. Und zum anderen wusste ich, dass ich lieber jetzt hineingehen und mich dieser Situation stellen sollte, als noch zu warten und noch mehr Angst vor der Konfrontation zu entwickeln, der ich sowieso nicht entgehen konnte. Und der ich auch eigentlich nicht entgehen wollte. Ich wollte ihm ins Gesicht sehen und Antworten verlangen. Wissen, warum er das alles getan hatte.

„Ja", meinte Frau Fischer schnell. „Ja, natürlich."

„Gut." Ich wusste, ich konnte darauf vertrauen, dass unsere Pathologin und die Leute von der Spurensicherung hier alles im Griff hatten. Also konnte ich weiter, aufs Revier, in den Vernehmungsraum, wo er schon auf mich wartete. Der Mann, der jetzt bereits fünf Menschen ermordet hatte.

Ich setzte mich in Bewegung und mit jedem weiteren Schritt hatte ich es doch weniger eilig, anzukommen. Wollte ich ihn wirklich sehen? Wollte ich wirklich vor ihn treten, ihn ansehen und mir eingestehen, dass es keine Verwechslung war, dass sich die Kollegin von der Streife nicht geirrt hatte, dass sie genau wusste, wen sie verhaftet hatte?

Spiel mit dem MörderWo Geschichten leben. Entdecke jetzt