Kapitel 28

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„Ein Glas Rum, bitte."

Eigentlich sollte ich zu Hause sein. Eigentlich sollte ich in meiner Wohnung sein und mir etwas zum Abendessen kochen. Mich danach eventuell auf die Couch setzen, um noch ein wenig fernzusehen, vielleicht einen abendlichen Krimi, ganz so, als gäbe es tagsüber nicht bereits mehr als genug Mord und Totschlag für mich. Und dann sollte ich mich, ginge es nach Pfeffer, wahrscheinlich früh ins Bett legen und schlafen. Mich ausruhen.

Aber das konnte ich nicht. Ich wusste, dass ich, wenn ich jetzt einfach nach Hause ging und in der Stille meiner Wohnung versuchte, meiner gewöhnlichen Routine zu folgen, so als wäre alles ganz normal, durchdrehen und doch wieder zurück ins Büro fahren würde, trotz der Anweisung des Staatsanwalts. Ich wusste, dass ich dort nicht zur Ruhe kommen würde, nicht mit allem, was ich noch zu erledigen hatte, und all den anderen Gedanken in meinem Kopf.

Die ich nun mit Alkohol zum Verstummen zu bringen versuchte.

Ja, zum momentanen Zeitpunkt war mir auch noch klar, dass das nicht gerade eine meiner besten Ideen war. Aber es schien mir immer noch eine bessere Idee zu sein als jetzt alleine in meiner Wohnung zu sitzen und wahlweise die Wand oder die Decke anzustarren – je nachdem, wann ich vom Esstisch ins Bett wechselte.

Ein Glas mit Rum schlitterte über den Tresen der Bar hinweg zu mir und ich streckte schnell die Hand aus, um es festzuhalten. Angesichts der Tatsache, dass meine Reflexe noch so gut waren, hatte das eine Glas Bier, das ich zum Einstieg bereits geleert hatte, offensichtlich noch nicht ausgereicht und ich noch nicht genug getrunken. Aber das konnte man ja ändern. Dann müsste ich endlich nicht mehr über den Serienmörder nachdenken, der zwar behauptet hatte, heute Nacht keinen töten zu wollen, der aber geisteskrank genug war, dass ich mich nicht auf sein Wort verlassen würde. Ich könnte endlich Lehmanns letzte Worte an mich aus meinem Kopf verbannen. Und den Gedanken fallen lassen, dass ich gerade mehr tun könnte, um den Mörder zu schnappen.

Ich könnte mich fallen lassen. Nach ein paar weiteren Gläsern.

Apropos Glas. Ich hob das Glas Rum an meine Lippen und nahm einen großen Schluck. Eigentlich mochte ich Alkohol nicht mal besonders. Aber es ging ja auch nicht darum, etwas zu trinken, was ich mochte. Es ging darum, so viel zu trinken, bis mir egal war, wie der Inhalt meines Glases schmeckte. Bis mir alles egal war.

Allerdings war es noch ein weiter Weg bis dahin. Denn noch schwirrte der Gedanke in meinem noch zu klaren Kopf herum, dass ich zu den drei Personen fahren sollte, die wir als potentielle Opfer identifiziert hatten, und sie vom Abendessen abhalten oder wenn nötig auch aus den Betten klingeln sollte. Einfach, damit das erledigt war. Und auch wenn Pfeffer Recht damit hatte, dass sicher die meisten Blumenläden um diese Uhrzeit schon geschlossen waren, hieß das ja nicht, dass ihre Besitzer überhaupt nicht mehr erreichbar waren. Auch die könnte ich jetzt immer noch aufsuchen und befragen, das wäre kein Ding der Unmöglichkeit. Ich könnte noch etwas tun. Mit der Konsequenz, dass unser Staatsanwalt mich morgen gar nicht mehr arbeiten lassen würde.

Außerdem müsste ich, selbst wenn ich mich dazu entschied, diese Konsequenz in Kauf zu nehmen, diese Hausbesuche im Alleingang machen, denn Florian saß wahrscheinlich gerade auf Pfälzers Couch und verfolgte das Fußballspiel, das gerade ausgestrahlt wurde. Er würde mich nicht begleiten, vielleicht nicht einmal unbedingt, um das Spiel nicht zu verpassen, sondern weil er mit Sicherheit Pfeffers Meinung war und mich nicht dazu ermutigen wollte, zu lange Überstunden zu machen. Natürlich könnte ich das Ganze auch ohne ihn tun. Aber irgendwie... wollte ich das nicht. Mit meinem ehemaligen Mitschüler Moritz, mit dem würde ich alleine klar kommen, wir hatten uns schließlich versöhnt. Aber den beiden womöglich gefährdeten Frauen wollte ich eigentlich nicht ohne meinen Kollegen an meiner Seite begegnen – bei der einen aus Angst, sie verletzen zu müssen, sollte mein Anblick sie dazu veranlassen, mich anzugreifen, bei der anderen... Ich konnte nicht einmal genau benennen, warum ich meine alte Klavierlehrerin nicht alleine treffen wollte. Vielleicht aus Angst, dass ich kein Wort mehr herausbekommen würde, sobald ich sie sah, dass ich sofort wieder zu dem kleinen Mädchen werden würde, das sie damals so terrorisiert hatte.

Spiel mit dem MörderWo Geschichten leben. Entdecke jetzt