„Du hast jetzt aber nicht vor, jede Nacht Wache zu halten, oder?"
Ich wandte den Kopf zur Seite und schaute meinen Kollegen an, der neben mir in dem kleinen Durchgang zwischen zwei Wohnhäusern stand, in dem wir uns befanden. Es waren zwei Häuser an der nordwestlichen äußeren Ecke des Mühlefelds, also laut Nicholas Engels Prognose eine der beiden Stellen, an denen der Mörder voraussichtlich seinen nächsten Zug machen würde, wenn er seine Strategie, die Ecken zu besetzen, fortsetzte. Doch dafür musste er erst an uns oder an den Streifenpolizisten, die sich bereit erklärt hatten, vor dem Hotel an der anderen Feldecke Wache zu halten, vorbeikommen. Wenn er hier jemanden erschoss, würden wir das auf jeden Fall hören und vielleicht auch sehen und damit würde er nicht davonkommen. Auch unbemerkt eine Leiche hier abzulegen würde schwierig werden.
Er könnte die Leiche natürlich auch woanders platzieren, auch wenn das spieltechnisch ein taktischer Fehler wäre. Aber dafür musste er wissen, dass wir hier waren und auf ihn warteten – ich hoffte, dass er es nicht wusste, deswegen standen wir auch in diesem engen Durchgang und hielten uns in der Dunkelheit abseits der nächsten Straßenlaterne versteckt. Natürlich war es nicht ausgeschlossen, dass er uns trotzdem gesehen hatte, zum Beispiel als wir uns hier hinein gezwängt hatten, aber das könnte ich jetzt sowieso nicht mehr ändern und deshalb verdrängte ich diesen Gedanken aus meinem Kopf.
Und selbst wenn er wusste, dass wir hier waren – ich traute ihm zu, trotzdem hier oder an der zweiten noch übrigen Ecke das nächste Opfer zu platzieren. Immerhin war er waghalsig genug gewesen, Amelie Engel auf offener Straße am helllichten Tag zu erschießen und später über das Handy mit mir zu telefonieren, dessen Nummer unsere Techniker ja inzwischen herausgefunden hatten und das sie nun orten konnten, sobald er es einschaltete. Die meiste Zeit schien es aus zu sein, das hatten mir die Techniker schon mitgeteilt, aber für Anrufe musste er es natürlich einschalten und damit auch das Risiko eingehen, geortet zu werden – sofern er nicht das Handy wechselte und damit Zeit gewann, bis wir ihn wieder orten konnten. Aber er hatte mich schon einmal angerufen, nachdem wir die Nummer herausgefunden hatten, er war dieses Risiko schon einmal eingegangen.
Und warum hatten wir ihn dann noch nicht geschnappt? Tja. Bei dem Anruf heute morgen hatte er Glück gehabt, weil da gerade eine Sicherung rausgeflogen war, als unsere Leute versucht hatten, ihn zu orten – da es wegen dieses technischen Problems nicht geklappt hatte und Lehmann mich nicht auch noch damit, dass auf unsere Technik kein Verlass war, hatte belasten wollen, hatte er entschieden, mir einfach nichts von diesem Fehlversuch zu erzählen. Nur hatte er diese Handhabung der Situation nicht mit Pfeffer abgeklärt, der mir heute Nachmittag davon berichtet hatte, nachdem ihm nach meiner verwirrten Reaktion auf eine beiläufige Bemerkung von ihm aufgegangen war, dass ich noch keine Ahnung von der fehlgeschlagenen Ortung hatte.
Ich hätte Lehmann wegen dieser nicht unerheblichen, aber mir vorenthaltenen Information gerne noch mehr zur Schnecke gemacht, als ich letztlich getan hatte, wenn unser Staatsanwalt mich nicht davon abgehalten hätte, indem er mich zu den Technikern geschickt hatte, damit ich da noch einmal nachfragen konnte, wie das jetzt lief. Sie hatten sich entschuldigt für das peinliche Problem und mir gesagt, dass sie beim nächsten Anruf das Handy orten würden. Und im nächsten Moment hatten sie mich davor gewarnt, mir zu große Hoffnungen zu machen, weil der Mörder von jetzt an vermutlich nur noch kurze Telefonate führen würde, um das Handy schnell genug wieder ausschalten und verschwinden zu können, bevor eine Streife seinen Standort erreichen konnte.
Oder aber er verlagerte sich nun eher auf schriftliche Nachrichten wie den Zettel, der an der Stelle gelegen hatte, an der ich heute Mittag die Blumen abgelegt hatte. Ich war noch mal dort gewesen, in der Hoffnung, dass er mir irgendein Zeichen geben würde, das mir sagte, dass er den Spielzug bemerkt hatte und erst mal niemanden ermorden würde. Und tatsächlich hatte er mir das mit einem kleinen Zettel neben dem Strauß signalisiert. Ich wusste, du würdest Vernunft annehmen, das war der erste Satz darauf gewesen. Und der zweite: Heute Nacht bin ich wieder dran.
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Spiel mit dem Mörder
Misteri / ThrillerDas Stadtzentrum Freudenstadts - ein Spielfeld. Ein Strauß weißer Rosen - ein weißer Spielstein. Eine Leiche - ein schwarzer Spielstein. „Lass uns spielen, Alena." Für die Kriminalpolizistin Alena Weiler sind Morde kein Spiel. Doch sie begreift schn...