Kapitel 39

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Es wird keinen weiteren Mord geben. Wir haben den Täter.

Das hatte Pfeffer mir gestern gesagt und Kurniawan hatte seine stumme Bestätigung dazu genickt. Auch wenn die beiden am Anfang noch skeptischer gewesen waren als ich, auch wenn sie weniger schnell von Florians Schuld überzeugt gewesen waren – seit Florian sich weigerte, das Passwort seines Laptops herauszurücken, waren auch sie sich sicher, dass er unser Mörder war. Und auch der Haftrichter, dem wir den Fall gestern am späten Nachmittag vorgelegt hatten, teilte diese Ansicht und hatte Untersuchungshaft angeordnet.

Damit waren zwar noch nicht alle finalen Zweifel ausgeräumt, die Ermittlung lief weiterhin und wir hatten auch zur Sicherheit wieder Polizisten an den noch freien Stellen auf dem Mühlefeld postiert. Aber nun waren sich alle so sicher, dass der Mörder hinter Gittern saß und damit aus dem Verkehr gezogen war, dass Pfeffer mich nach unserer abendlichen Lagebesprechung nach Hause geschickt hatte, mit der Anweisung, endlich mal eine Nacht durchzuschlafen. Der Staatsanwalt war sogar so weit gegangen, mich nach draußen auf den Parkplatz zu begleiten, um sicherzugehen, dass ich tatsächlich in mein Auto stieg und in Richtung meiner Wohnung davonfuhr.

Ich hatte natürlich die Augen darüber verdreht. Und erwogen, nach der nächsten Straßenecke anzuhalten, darauf zu warten, dass sich Pfeffer ebenfalls auf den Heimweg machte, und dann wieder zurück zum Revier zu fahren. Doch ich hatte mich letztendlich dagegen entschieden. Nicht nur, weil das ziemlich nah an der Trotzreaktion einer Zehnjährigen dran gewesen wäre, nein: Ich hatte einfach eingesehen, dass ich in dem Moment nichts mehr hatte tun können und dass ich die Techniker, die etwas länger geblieben waren, um trotz geringer Erfolgschancen zu versuchen, Florians Laptop zu knacken, nur mit meiner nutzlosen Anwesenheit genervt hätte. Zumindest war ich gestern Abend noch halbwegs davon überzeugt gewesen, dass ich Pfeffers Wahrheit eingesehen hatte. Dass er Recht hatte und dass niemand mehr sterben würde.

Jetzt wusste ich, dass ich falsch gelegen hatte. Dass er falsch gelegen hatte mit seiner Zuversicht.

Es wird keinen weiteren Mord geben.

Das stimmte nicht. Denn jetzt stand ich hier, im Eingangsbereich einer Wohnung, die mir noch allzu gut bekannt war. Es war alles noch da. Die Räucherkerzen und die teils mit ätherischen Ölen und teils mit getrockneten Rosen gefüllten Duftschälchen, die über die ganze Wohnung verteilt waren und jede noch halbwegs funktionstüchtige Nase vollkommen überfordern würden. Die vielen verschiedenen Decken, Kissen und Wandbehänge in den unterschiedlichsten Farben, Mustern und Abstufungen der Scheußlichkeit – denn wenn die Nase leiden musste, sollte den Augen auch keine Ruhe gelassen werden. Und natürlich das Klavier. Das Klavier, das prominent in der Mitte des engen Wohnbereichs stand. Das Klavier, auf dem immer noch dieses verdammte aufziehbare Metronom thronte. Das Klavier, auf dem ich mir die Finger wund gespielt hatte.

Das alles war noch da. Nur von der Garderobe mit den ganzen bunten Mänteln... Verrußte Wände, verkokelte Gegenstände und der Gestank von explodiertem Sprengstoff, das war alles, was noch von dem Eingangsbereich übrig war, in dem ich nun mit Kurniawan stand. Und natürlich der Umriss einer Leiche in weißer Farbe auf dem Boden zu unseren Füßen.

Die Leiche selbst war nicht da, nicht mehr. Kein Wunder, immerhin war es schon ein paar Stunden her, dass die Spurensicherung und unsere Pathologin hier gewesen waren, um den Tatort zu sichern und anschließend die Leiche in die Gerichtsmedizin zu bringen. Das alles unter der Aufsicht von Kurniawan und Pfeffer.

Während ich unwissend zu Hause in meinem Bett gelegen und im Dunkeln die Decke angestarrt hatte.

Ja, dass ich heute solange arbeiten würde, wie der Fall es erforderte, obwohl ich eigentlich den ganzen Tag frei hatte und Pfeffer der Meinung war, dass ich ein bisschen Ruhe gebrauchen konnte, hatte ich gestern nur unter der Bedingung mit dem Staatsanwalt ausgehandelt, dass ich wenigstens versuchte, eine Nacht durchzuschlafen. Ich hatte es auch versucht – aber wie nicht anders zu erwarten hatte es nicht geklappt, natürlich hatte es das nicht. Denn wenn wir den Mörder hatten, bedeutete das, dass Florian es gewesen war, und das fühlte sich fast so schlimm an wie der Gedanke, den wahren Täter noch nicht geschnappt zu haben. Das Grübeln darüber, dass jemand, mit dem ich jahrelang Seite an Seite gearbeitet hatte, in Wahrheit ein wahnsinniger Serienmörder war, hatte mich die ganze Nacht lang wach gehalten.

Spiel mit dem MörderWo Geschichten leben. Entdecke jetzt