Kapitel 44

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„Das... Das ist doch jetzt ein schlechter Scherz." Pfeffer, der Staatsanwalt, der sonst niemals stockte, nie auch nur ein „Ähm" benötigte, um seinen Satz fertig auszuformulieren, war für seine Verhältnisse geradezu fassungslos. Irgendwie verständlich – immerhin hatte ich ihm und Kurniawan, die ich hierher aufs Polizeirevier zitiert hatte, erst vor etwa einer halben Stunde das Video gezeigt, das mir zugeschickt worden war.

Und das sicher kein Scherz war. Außerdem: „Ich wüsste nicht, was daran lustig sein sollte." Das war nicht bloß nicht auch nur im Entferntesten lustig, sondern... schrecklich. Nein. Nein, dass Florian, dass mein Kollege unschuldig war und mich doch nicht so sehr hintergangen hatte, wie ich gedacht hatte, das war nicht schrecklich. Das war eigentlich eine großartige Neuigkeit. Wären nicht die damit verbundenen Umstände, dass der wahre Mörder noch auf freiem Fuß war und jederzeit wieder zuschlagen konnte und dass ich mich getäuscht hatte. Dass ich Florian zu Unrecht verdächtigt hatte.

Nein. Dass er unschuldig war, war nicht schrecklich. Aber ich, ich war schrecklich. Ich hätte ihm glauben, ihm vertrauen sollen. Stattdessen hatte ich ihn weggesperrt und seine immer verzweifelter gewordenen Unschuldsbeteuerungen abgeblockt und ignoriert.

„Wir waren uns doch so sicher", murmelte Pfeffer und schüttelte immer noch nicht ganz begreifend den Kopf.

Ja, wir waren uns sicher gewesen. Vor allem ich war mir so verdammt sicher gewesen, hatte mich so sehr auf Florian als Täter eingeschossen, dass ich keinem anderen Verdacht mehr nachgegangen war oder eine andere Möglichkeit auch nur in Betracht gezogen hatte. Dabei hätte ich das tun müssen, nicht nur als gute Polizistin, sondern auch als gute Kollegin hätte ich zu seinen Gunsten zumindest die Option erwägen müssen, dass er es vielleicht doch nicht war.

Aber das hatte ich nicht getan. Dass Florian in der JVA verprügelt worden war, dass er diese verzweifelte Hilflosigkeit hatte durchmachen müssen, als ich ihm nicht geglaubt hatte, das war meine Schuld. Dass wir Zeit bei der Suche nach dem wahren Mörder verloren hatten und dass uns jetzt bis zum nächsten Mord weniger als eine Stunde blieb, in der wir mangels alternativer Spuren noch keinen anderen Verdächtigen festnehmen und so den nächsten Mord vielleicht verhindern könnten, das war auch meine Schuld. Es war alles meine Schuld.

Das bringt doch jetzt nichts. Du hast dich geirrt, ja, aber jetzt hast du auch erst einmal alles getan, was du tun konntest. Was nicht sonderlich viel war. Ich hatte bloß versucht, den Mörder anzurufen, aber er war nicht rangegangen – wahrscheinlich hatte er das Handy direkt nach dem Absenden seiner Nachricht wieder ausgeschaltet. Das hatte also nichts gebracht. Und meine Suche nach einer Kamera auf dem Marktplatz, mit der das Video vom fünften Mord gemacht worden war, war zwar erfolgreich gewesen, aber auch das brachte uns letztlich nichts. Der Mörder war in dem Clip vermummt gewesen und er war sicher nicht so dumm, sein Gesicht zu einem anderen Zeitpunkt im Sichtfeld der Kamera gezeigt zu haben. Und damit, Fingerabdrücke auf dem Gerät zu finden, war auch nicht zu rechnen.

Also ja, ich war zumindest nach dem Erhalt des Videos nicht untätig gewesen, das stimmte. Aber nichts von dem, was ich getan hatte, hatte wirklich zu etwas geführt. Es war nicht genug.

„Es gab sehr viele Indizien", meinte Kurniawan und dieses Mal war ich mir nicht sicher, ob er das nur sagte, um mich oder vielleicht auch noch den Staatsanwalt zu beschwichtigen, oder ob es ihm diesmal auch um sein eigenes schlechtes Gewissen ging, das er irgendwie zu mildern versuchte. Oder er sagt das, weil er ein objektiver Außenstehender ist, der einfach nur Recht hat. Nein. Nein, dafür war sein Gesichtsausdruck zu schuldbewusst. Vielleicht war an dem, was er sagte, was dran, aber er brachte das nicht bloß als rationale Feststellung hervor. Wie um meinen Gedanken zu widersprechen, schaute er mich an und sagte nachdrücklich: „Es ergibt Sinn, dass wir uns auf ihn konzentriert haben."

Spiel mit dem MörderWo Geschichten leben. Entdecke jetzt