Kapitel 6

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Nein. Bitte, bitte nein.

Das war ein schlechter Scherz. Ich wollte so sehr, dass es ein schlechter Scherz war, dass ich nicht gerade mit einem Mörder telefonierte, der mir mitteilte, meinetwegen jemanden getötet zu haben, und das mit einer Selbstgefälligkeit, sogar mit einer erschreckenden Art von Selbstverständlichkeit, dass mir schlecht wurde. Das konnte dieser Typ, wer immer er auch war, doch nicht ernst meinen.

„Ich weiß, dass du noch dran bist", wurde ich plötzlich aus meinen Gedanken gerissen. Wie lange hatte ich nichts gesagt? Wie lange hatte ich einfach nur hier gestanden und ins Leere gestarrt, verzweifelt versucht, mir einzureden, dass das hier nicht wirklich passieren konnte? „Sag was."

„Wieso haben Sie Amelie Engel ermordet?" Gib mir ein Motiv, das nicht wirklich was mit mir zu tun hat. Bitte. „Was hat sie Ihnen getan?"

„Mir?" Der Mann am anderen Ende der Leitung lachte. „Nichts." Mit einem Mal wurde er wieder ernst: „Aber sie hat dir etwas getan, Alena."

Ich schloss die Augen. Das durfte nicht wahr sein. Verdammt, ich weigerte mich, zu glauben, dass er das ernst meinte. „Sie haben sie doch nicht wirklich erschossen, nur weil Sie denken, dass Sie mir damit einen Gefallen tun!" Das tat man doch nicht, das tat niemand! Wie sollte auch jemand auf die Idee kommen, ich könnte mich über den Mord an einer Kollegin freuen? Auch wenn es eine Kollegin war, die mich immer verspottet hatte. Die sich über mich lustig gemacht hatte. Die mehr eine Konkurrentin als eine Kollegin war. Gewesen war. Denn jetzt war sie tot. Und die freie Stelle in Stuttgart musste anderweitig besetzt werden.

Halt. So etwas durfte ich nicht denken. Auf keinen Fall.

Ich freute mich nicht, dass sie tot war. Okay, ich war nicht unbedingt traurig, aber ich freute mich nicht. Nein. Ich war niemand, der sich über den gewaltsamen Tod einer Konkurrentin freute. So war ich nicht. So schrecklich war ich nicht.

„Doch", sagte der Mörder in diesem Moment und ich zuckte erschrocken zusammen, hatte auf einmal die irrationale Angst, dass er wusste, was ich gerade gedacht hatte. Erst als er weiter sprach, wurde mir klar, dass er auf das einging, was ich vorhin gesagt hatte: „Genau deswegen habe ich sie umgebracht. Glaub mir: Ich habe diesen Mord dir zuliebe begangen, du kannst dir das ruhig eingestehen ohne dich für zu egozentrisch zu halten." Woher wusste er, dass das zu meinen Bedenken gehört hatte, diese Angst, mich selbst zu wichtig zu nehmen? Denn die war auch da – zusätzlich zu der natürlich größeren und hauptsächlichen Angst, von einem übergeschnappten Mörder begehrt zu werden. „Ich brauche keinen anderen Grund als den, dass sie dich geärgert hat."

„Das ist doch verrückt." So sollte ich nicht mit einem Verrückten reden, das wusste ich genau. Es könnte ihn wütend machen. Aber – verdammt, ich war wütend! „Sie sind verrückt!" Wie konnte er sich einbilden, mein Herz zu erobern, indem er Leute umbrachte? Wie konnte er es wagen, mich in diese Scheiße reinzureiten? Wie konnte er mir so etwas antun?

Was dachte er denn, wer er war?

„Sie sind vollkommen verrückt."

„Ich bin verliebt", erwiderte er, schlicht und einfach, ganz so, als erklärte das alles. Gar nichts erklärte das! Gar nichts rechtfertigte das! „Freust du dich denn wirklich nicht mal ein ganz kleines bisschen?" Nein. „Jetzt kann sie dich nie wieder ärgern." Ja, aber... „Und außerdem habe ich mir doch extra auch ein lustiges Spiel überlegt, um das Ganze noch interessanter zu machen."

„Ein lustiges Spiel?" Unfassbar. Ein Mord war kein Spiel. Eine Leiche konnte keine Figur in einem Mühlespiel sein, das durfte sie nicht sein, das... Das machte das Ganze nicht interessant, sondern grausam und abstoßend. Ich hielt inne. Runzelte die Stirn. „Warten Sie – was meinen Sie mit ,das Ganze'?" Wieso hatte ich das ungute Gefühl, dass „das Ganze" mehr umfasste als den einen Mord an Engel?

Spiel mit dem MörderWo Geschichten leben. Entdecke jetzt