Der Schmerz in seiner Seite war von dem anfänglichen Höllenfeuer zu einer bloßen Glut heruntergebrannt. Hauptsächlich wegen der Medikamente, die ihm gegen seinen Willen verabreicht worden waren. Und ihm nun die Sinne benebelten.
Vor ein paar Stunden hatten sie ihm die letzte Dosis verpasst und er hatte nur hilflos in seinem Krankenbett liegen können, die Hände links und rechts von sich ans Bettgestell gefesselt. Bei der Erinnerung daran flammte ein klein wenig Wut in ihm auf – das kleine bisschen, das in dem Nebel in seinem Kopf zumindest den Anflug einer Gestalt annehmen konnte. Die Gestalt des Arztes, der die Verabreichung der Schmerzmittel veranlasst und beaufsichtigt hatte. Und der danach die Schwester angewiesen hatte, Arian von dem Infusionsständer zu trennen.
Das musste etwas bedeuten. Angestrengt versuchte Arian, trotz der Träge seiner Gedanken herauszufinden, was genau das zu bedeuten hatte. Glücklicherweise nahm die sedierende Wirkung der Medikamente allmählich ab und sein Denken näherte sich wieder der Geschwindigkeit an, die er gewohnt war. Und so kam er rasch zu dem Schluss, dass sie ihn wohl verlegen würden. Das ergab Sinn. Er war lange genug in diesem Krankenhaus gewesen und nun gesund genug, um woanders hingebracht zu werden. Und um sich seinen nächsten Aufenthaltsort denken zu können, hätte er nicht mal die Hälfte seiner Intelligenz gebraucht.
Seinen nächsten planmäßigen Aufenthaltsort.
Arian zog ein wenig an den Handschellen, die sein linkes Handgelenk an das Bettgestell banden. Ja, im Moment war er noch gefesselt. Aber sie würden ihn losmachen müssen, um ihn von hier wegzubringen.
Sie. Er lauschte auf die Stimmen, die er vor seinem Zimmer hörte. Da war die Stimme des Arztes und dann... Er hielt inne, als er Alenas Stimme hörte. Sie war hier. Nachdem sie alle Vernehmungen dem LKA-Beamten und dem Staatsanwalt überlassen hatte, war sie nun hier. Und als Alena einen Augenblick später das Zimmer betrat, breitete sich ein Lächeln auf seinem Gesicht aus. Sie war tatsächlich hier. Sie war zu ihm gekommen.
Kurz registrierte er die Männer, die mit ihr eingetreten waren – den hassenswerten Arzt, der ihn unter Drogen gesetzt hatte, den Mann vom LKA und zwei uniformierte Polizisten, einer von ihnen noch jung und sichtlich so nervös, dass er wohl sofort die Waffe, an der seine Hand schon lag, ziehen und ihn erschießen würde, wenn er ihm nur irgendeinen Anlass dafür gab.
Doch dann konzentrierte sich Arian wieder auf das, was zählte. Das Einzige, was für ihn wichtig war. Alena. Sie sah ein wenig fertig aus. Natürlich war sie trotzdem wunderschön, für ihn war sie das immer. Aber die Haare, die zu einem zerzausten Knoten zusammengebunden in ihrem Nacken hingen, und der Kaffeefleck auf ihrem Shirt erweckten den Eindruck, als ließe sie sich im Moment ein bisschen gehen. Und unter ihren Augen erkannte Arian dunkle Schatten.
Ob sie ihre Nächte statt mit Schlafen damit verbrachte, über ihn nachzudenken? Über ihn – oder über das, was sie getan hatte? Überlistet hatte sie ihn, und ihn dann beinahe umgebracht. Sie war für den dumpfen Schmerz in seiner Seite verantwortlich, sie war dafür verantwortlich, dass er jetzt hier war, sie...
Nein. Nein, er konnte ihr nicht böse sein deswegen, er konnte ihr wegen nichts böse sein. Alena war perfekt – beinahe. Abgesehen davon, dass sie sich vor dem verschloss, was am besten für sie wäre. Dass sie sich vor ihm verschloss.
Aber es war noch nicht vorbei. Sie hatte ihn nicht getötet. Sie hätte die Chance dazu gehabt, aber sie hatte es nicht getan und stattdessen einen Krankenwagen gerufen, sie hatte ihm damit das Leben gerettet. Also war es noch nicht zu spät, also hatte er noch eine Chance.
Er lächelte sie an. „Hey."
Ohne zu erkennen zu geben, dass sie ihn überhaupt gehört hatte, wandte Alena sich an den Arzt: „Sie sagen, dass er jetzt gesund genug ist, um verlegt zu werden?"
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Spiel mit dem Mörder
Mystery / ThrillerDas Stadtzentrum Freudenstadts - ein Spielfeld. Ein Strauß weißer Rosen - ein weißer Spielstein. Eine Leiche - ein schwarzer Spielstein. „Lass uns spielen, Alena." Für die Kriminalpolizistin Alena Weiler sind Morde kein Spiel. Doch sie begreift schn...