Kapitel 1

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Die Kameras klickten, Fotoblitze zuckten über die Szenerie. Eine richtige Menschenmenge hatte sich in der kleinen Straße unweit des Marktplatzes gebildet. Die Kollegen in Uniform hatten Mühe, die ganzen Schaulustigen zurückzuhalten, denn die Menschen, Frauen und Männer, junge und alte, aber vor allem junge, junge Leute mit gezückten Smartphones, waren alle zu fasziniert von dem, was sie sahen. Die klassische Faszination des Todes.

Ich konnte nicht von mir behaupten, dass ich dafür kein Verständnis hatte – zumindest nicht generell. Aber in diesem Moment schon.

„Verschwinden Sie!", fuhr ich die an, die mir den Weg versperrten. Ein paar schreckten vor dem Ausweis zurück, den ich ihnen entgegenstreckte, ein paar andere nicht. Da musste ich mit dem Ellbogen und einer lauteren Stimme nachhelfen: „Los, machen Sie Platz! Gehen Sie endlich weg!" Merkten sie nicht, dass sie im Weg standen? Dass sie störten, die Polizeiarbeit behinderten? Und es auch noch an jeglichem Respekt dem Toten gegenüber mangeln ließen. „Hören Sie gefälligst auf, so zu starren!" Auch wenn der Tote selbst sich nicht mehr daran stören konnte, so begafft zu werden, verdiente er doch das Mindestmaß an Privatsphäre, dass sein Leichnam nicht fotografiert und für jeden sichtbar ins Netz gestellt wurde.

Nein. Nicht der Tote. Als ich mich endlich durch die Menschen gedrängt hatte, erkannte ich meinen Fehler. Es war eine Tote. Ich hielt inne. Eine Tote, die mir viel zu vertraut vorkam.

„Schade", meinte Pfälzer plötzlich und riss mich aus meiner Starre. Verwirrt sah ich mich nach ihm um und entdeckte ihn schließlich ganz in meiner Nahe – aber zwischen den ganzen anderen Streifenpolizisten hatte ich ihn nicht sofort ausgemacht. Was doch ehrlich gesagt auch nicht so tragisch war. Pfälzer fuhr sich durch sein kurzes, graues Haar und warf einen bedauernden Blick in Richtung der Toten. „Die Welt hätte mehr von diesen Beinen sehen sollen."

In einer anderen Situation hätte ich die Augen darüber verdreht, dass er immer nur an das eine dachte. Oder besser: an eines von drei Dingen. Den einzigen drei Attributen, die ihn an Frauen interessierten. Und das waren leider nicht Klugheit, Charme und Witz.

Aber mit der Toten im Rücken, mit ausgerechnet dieser Toten in meinem Rücken, konnte ich nicht einmal die Augen über diese Oberflächlichkeit verdrehen. „Klappe, Pfälzer", wies ich ihn scharf zurecht, bevor ich das Absperrband anhob, um darunter hindurch zu schlüpfen. Das Gute war: Ich entfernte mich von Pfälzer und musste mir seine höhnische und selbstverständlich uneinsichtige Antwort nicht mehr anhören. Das Schlechte: Ich kam dem Tatort näher. Der Leiche.

Amelie Engel.

Ihr Rock war ein Stück hoch gerutscht, wodurch Leute wie Pfälzer einen noch besseren Blick auf ihre schlanken Beine bekamen. Ein High Heel hatte sich von ihrem Fuß gelöst und lag seitlich auf dem Pflaster. Doch sonst sah sie aus wie immer. So perfekt wie immer, perfekt angezogen, perfekt geschminkt, perfekt frisiert. Nur das Rot, das ihre Haare verklebte und ein Loch durch ihre Stirn bohrte, war nicht auf ihren Lippenstift abgestimmt.

Das Rot ihres Blutes – von dem Kopfschuss, der sie mit größter Wahrscheinlichkeit getötet hatte.

Dabei hatte ich doch eben noch mit ihr geredet. Es war keine Stunde vergangen, seit sie mich auf dem Weg in die Mittagspause im Eingangsbereich des Reviers abgepasst und in ein Gespräch verwickelt hatte. Vor weniger als sechzig Minuten hatte ich mir noch von ihr anhören müssen, wie überlegen sie mir doch war, sie, die die Stelle in Stuttgart bekommen hatte, auf die wir uns beide beworben hatten. Jetzt würden die Kollegen in der Landeshauptstadt wohl doch ohne sie auskommen müssen, denn Engels letzte Reise führte sie nicht nach Stuttgart – sie führte sie ins Grab.

Verdammt. So sollte ich nicht über sie denken. So sollte ich über keinen Toten denken, aber vor allem nicht über eine tote Kollegin. Auch wenn sie immer auf mich herabgesehen hatte, mich immer deutlich spüren ließ, wie viel besser sie doch war, mich immer... Nein. Nein, sie war jetzt tot, und über Tote dachte man nicht schlecht.

Spiel mit dem MörderWo Geschichten leben. Entdecke jetzt