Kapitel 16

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„So." Die Sanitäterin packte ihre Sachen zusammen und verschloss ihren Koffer wieder. „Der Verband muss regelmäßig gewechselt werden und die Schulter sollte selbstverständlich geschont werden", meinte sie und richtete sich aus der Hocke auf. Sie sah mich ernst an. „Die Hände auf den Rücken legen kann er im Moment nicht und dafür sollten Sie Verständnis haben."

Ich blinzelte erst verwirrt und nickte dann schnell. „Ja, natürlich." Was dachte sie denn? Dachte sie wirklich, ich wäre so brutal, dass ich Federico de Luca zwingen würde, seine verletzte Schulter zu belasten, damit ich ihm die Hände hinter dem Rücken fesseln konnte?

Okay, zugegeben: Ich war bereits brutal genug gewesen, um auf ihn zu schießen, das ließ sich jetzt schwer leugnen, angesichts der frisch verbundenen Wunde an seiner Schulter von der Kugel aus meiner Dienstwaffe, die ihn gestreift hatte. Aber zu meiner Verteidigung musste ich sagen, dass ich erstens extra so gezielt hatte, dass ich schon sehr mies hätte treffen müssen, um ihn umzubringen (doch ich kannte meine Zielfähigkeit und hatte sie auch in diesem Fall richtig eingeschätzt), dass ich zweitens sofort, nachdem ich ihn verhaftet hatte, einen Krankenwagen gerufen hatte, und dass de Luca, ein potentieller Serienmörder, drittens ansonsten wahrscheinlich entkommen wäre und somit die Möglichkeit gehabt hätte, noch mehr Menschen umzubringen.

Ja, gut, wir konnten uns immer noch nicht hundertprozentig sicher sein, dass Federico de Luca der Mörder war. Aber das Motiv seines Bruders, das versteckte Handy mit der einen eingespeicherten Nummer, die Tatsache, dass es sich bei dem Handy des Mörders um das Handy seiner Schwester handelte, seine verlassene Wohnung, seine Anwesenheit an einer verdächtigen Stelle des Mühlefelds wenige Stunden vor Mitternacht und auch seine Flucht vor Florian und mir sprachen dafür – und das alles war nicht gerade wenig.

Trotzdem hatten wir zur Sicherheit eine Ablösung angefordert, die unseren Posten übernahm, damit Florian und ich mit de Luca in den Vernehmungsraum konnten, und auch noch auf diese gewartet, bevor wir unseren Hauptverdächtigen zu den bereits zum Revier bestellten Sanitätern gebracht hatten. Für den Fall, dass de Luca doch unschuldig war und der wahre Mörder noch draußen herumlief, stand jetzt immer noch jemand Wache.

Und trotz aller Verdachtsmomente gegen ihn würden wir ihn nicht misshandeln. Ich würde mich zwar sicherer fühlen, wenn seine Hände hinter seinem Rücken in Handschellen lägen, aber selbst wenn er ein Serienmörder war, würde er keine unnötigen Schmerzen erleiden, solange ich die Verantwortung trug. Daher musste sich die Sanitäterin gar keine Sorgen machen und konnte auch getrost aufhören, mich so mahnend anzusehen.

„Er ist in guten Händen", meinte Florian. Die Hand, die er in der Nähe seiner Dienstwaffe hielt, seine angespannten Gesichtszüge und die Tatsache, dass er Federico de Luca keinen Moment lang aus den Augen ließ, sprachen zwar eine andere Sprache, aber dennoch war es vermutlich etwas überzeugender, wenn er so etwas sagte – also überzeugender als wenn diese Worte von mir, der Polizistin, die geschossen hatte, gekommen wären.

Tatsächlich ließ sich die Sanitäterin endlich ein wenig beschwichtigen. „Dann ist ja gut", meinte sie, verabschiedete sich knapp und ließ uns dann zu dritt im Vernehmungsraum allein.

Nach einem kurzen Blickwechsel mit Florian setzte ich mich Federico de Luca gegenüber auf einen Stuhl, während mein Kollege stehen blieb, noch immer angespannt und noch immer mit der Hand an seiner Dienstwaffe. De Luca entging dieses kleine Detail genauso wenig wie mir und dementsprechend schluckte er nervös. „Herr de Luca", setzte ich an und langsam richtete er seine Aufmerksamkeit auf mich, behielt dabei allerdings meinen Kollegen aus dem Augenwinkel noch im Blick. „Haben Sie irgendetwas zu dem Vorwurf zu sagen, dass Sie im Auftrag Ihres Bruders Alessandro de Luca Amelie Engel und Mike Williams ermordet haben?"

Spiel mit dem MörderWo Geschichten leben. Entdecke jetzt