Kapitel 31

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Nach einem tiefen Atemzug drückte ich auf den Klingelknopf und trat einen Schritt zurück, um zu warten. Dabei wanderte mein Blick noch einmal über die Fassade des Hauses, vor dem ich stand. Über die dunkelrot lackierten Fensterläden, die sich stark von dem pastellfarbenen Hellgelb abhoben, in welchem die Hauswände gestrichen waren. Über die Kästen unter den Fenstern mit den kleinen Blumen und Kräutern, denen der nahende Winter zwar zu schaffen machte, die sich bis jetzt aber noch tapfer hielten. Es war ein schönes Haus.

Unwillkürlich fragte ich mich, was meine ehemaligen Mitschüler wohl über das sowohl von außen als auch von innen kühl und steril wirkende Haus denken würden, in dem ich wohnte. Was Arian wohl über meine spartanisch eingerichtete Wohnung dachte.

Doch bevor ich mir weiter den Kopf darüber zerbrechen konnte, öffnete ein Mann die Tür. „Ja?" Es war nicht Moritz. Nicht nur deshalb, weil er nicht so aussah wie der Mann von dem Foto, das Florian mir gezeigt hatte. Sondern auch, weil er mich offensichtlich nicht erkannte – und Moritz würde, hoffentlich, zumindest irgendein Anzeichen vagen Erkennens zeigen, wenn er mich wieder sah.

„Alena Weiler, Kriminalpolizei", stellte ich mich vor und immer noch zeigte der Mann keine Reaktion. Das bedeutete auch, dass doch noch nicht die ganze Stadt den Artikel über mich gelesen hatte – immerhin eine positive Erkenntnis. Obwohl er nicht danach fragte, zeigte ich ihm, um einer solchen Frage vorzubeugen, meinen Dienstausweis. „Ich würde gerne mit Moritz Durand sprechen. Ist er da?"

„Polizei? Ein Moment bitte..." Das „Bitte" ließ zum ersten Mal einen französischen Akzent durchklingen. Daher war ich nicht überrascht, als er sich zum Inneren des Hauses umdrehte und rief: „Chéri! Je pense que c'est pour toi!"

„Quoi?" Das Wort war rational betrachtet zu kurz, als dass ich die Stimme hätte identifizieren können – und außerdem war es zu lange her, dass ich Moritz das letzte Mal sprechen gehört hatte. Aber dennoch bildete ich mir ein, dass mir die Stimme irgendwie vertraut vorkam. Auch wenn es mich irritierte, dass er Französisch sprach. In der Schule war er nie ein Fach von dem Fach gewesen, wenn ich mich richtig erinnerte.

„C'est une policière", sagte der Mann, der vor mir in der Haustür stand, über die Schulter hinweg. „Elle s'appelle..."

Ein zweiter Mann erschien im Türrahmen, ein Stück größer als der erste, in einem Pullover in einem dunklen Ockerfarbton und mit grünlich-grauen Augen, die sich bei meinem Anblick überrascht weiteten. „Alena?"

Ich lächelte leicht und hob die Hand zu einem halbherzigen Gruß. „Hey, Moritz."

Nachdem eine Weile lang niemand von uns etwas gesagt hatte, räusperte sich der andere Mann und meinte an Moritz gewandt: „Eh, je vous laisse, d'accord?" Moritz brauchte einen Moment, bis seine Worte bei ihm ankamen, dann nickte er. Bevor der andere Mann im Innern des Hauses verschwand, drückte er Moritz kurz die Schulter. Dabei fiel mir der Ring an seinem Ringfinger ins Auge. Ein rascher Blick auf Moritz' rechte Hand zeigte mir dort einen ähnlichen, aber noch schlichter gestalteten, dünnen Silberring. Ich spürte, wie mein Lächeln unwillkürlich ein wenig breiter wurde. Offenbar hatte er die Zeit, die wir uns nicht gesehen hatten, gut genutzt und sein Liebesglück gefunden.

Im Gegensatz zu dir.

Sofort schüttelte ich diesen Gedanken ab. Das konnte ich jetzt nicht gebrauchen. Niemals, eigentlich.

Moritz, der bis jetzt zu überfordert mit meinem unerwarteten Besuch gewesen war, fand nun seine Umgangsformen wieder und brachte ein „Schön dich zu sehen" heraus. Ob das nur eine Höflichkeitsfloskel war oder ob er sich tatsächlich freute, mich zu sehen, fragte ich zwar mich selbst innerlich, aber nicht ihn, denn das hätte ihn wahrscheinlich nur noch mehr aus dem Konzept gebracht.

Spiel mit dem MörderWo Geschichten leben. Entdecke jetzt