„Was will der denn schon wieder hier?"
„Florian." Ich verdrehte die Augen, dann richtete ich meine Aufmerksamkeit auf Nicholas Engel, der mit einem Mal in der Tür des Vernehmungsraums stand. Er trug das gleiche rote T-Shirt wie gestern, nur dass es heute zerknitterter aussah. Auch seine Umhängetasche hatte er wieder dabei – und er umklammerte ihren Gurt ähnlich verkrampft wie gestern. „Herr Engel, was tun Sie hier?" Wir hatten doch gestern entschieden, dass wir ihn nicht mehr befragen mussten, solange sein Alibi nicht widerlegt war, was Nachfragen natürlich erforderlich machen würde. Wieso war er also hier, ungefragt, von sich aus? Doch nicht, um den Mord an seiner Schwester zu gestehen, beziehungsweise die mittlerweile schon zwei Morde. Oder?
„Ich..." Er biss sich auf die Lippe, schaute unsicher von mir zu Florian, doch als er den Argwohn im Gesicht meines Kollegen sah, richtete er seinen Blick lieber schnell wieder auf mich, die sich noch nicht sicher war, wie viel Misstrauen bei seinem unerwarteten Auftauchen angebracht war. „Tut mir leid, ich will nicht stören, aber, ähm, ich hab gestern mein Handy verloren." Also doch kein plötzliches Geständnis.
„Aha." Florian hob die Augenbrauen. „Und jetzt?"
„Vielleicht ist es im Auto", meinte Nicholas Engel schüchtern. „Von Frau Weiler, meine ich." Die ganze Situation war ihm offensichtlich so unangenehm, dass er den Blick auf den Boden richtete, um unsere Reaktionen nicht zu sehen.
Ich seufzte. Irgendwie tat er mir leid. So jemand wie dieser Junge, denn das war er fast noch, konnte doch nicht wirklich ein Serienmörder sein, oder? Und selbst wenn – ich wusste es nicht, ich wusste nur, dass ich die Situation hier für ihn beenden wollte. „Wir können ja mal nachsehen." Ihn unter meiner Aufsicht in meinem Auto nach seinem Handy suchen zu lassen, konnte nicht schaden. „Kommen Sie." Ich formte mit den Lippen die Worte „Bin gleich wieder da" in Richtung Florian und bedeutete anschließend Nicholas Engel mit einem Handzeichen, mir zum Parkplatz folgen.
Auf dem Weg dorthin schwiegen wir, da mir nichts einfiel, was ich zu jemandem, den mein Kollege trotz unseres neuen Hauptverdachts noch immer verdächtigte, sagen sollte, und weil Engel zu unsicher schien, um ein Gespräch anzufangen. Ein Blick zur Seite bestätigte, dass er sich immer noch am Gurt seiner Tasche festklammerte als wäre dieser eine Rettungsleine. Außerdem bemerkte ich, dass er mich von der Seite musterte. Als ich ihn stirnrunzelnd ansah, wurde er, peinlich berührt davon, dass ich ihn beim Starren erwischt hatte, rot und murmelte: „Ähm... Sie sehen irgendwie fertig aus."
Ja, vermutlich. Vermutlich sah jemand, dessen gerade Ex ermordet worden war, von einem Irren, der meinte, eine Mordserie wäre ein guter Anmachversuch, irgendwie fertig aus. Aber darüber würde ich mit niemandem reden, schon gar nicht mit jemandem, den ich überhaupt nicht kannte. Daher ließ ich seine Bemerkung unkommentiert und lenkte stattdessen den Fokus auf ihn: „Sie sehen fertig aus." Nicht nur, dass er das gleiche T-Shirt wie gestern trug und dass dieses so aussah, als hätte er sich nicht die Mühe gemacht, es für die Nacht auszuziehen, auch seine Haare waren heute wirrer als gestern. Und die leichten Schatten unter seinen Augen ließen vermuten, dass er letzte Nacht nicht viel geschlafen hatte.
„Na ja." Er zuckte mit den Achseln. Schluckte. „Ich meine: Meine Schwester ist tot, ich bin anscheinend mordverdächtig – das ist schon alles ein bisschen viel."
„Sie sind nicht..." Halt. Dass wir mittlerweile die de-Luca-Brüder als Hauptverdächtige hatten, war der aktuelle Stand der Ermittlungen – also etwas, dass ich keinem trotzdem nicht als Verdächtigen Auszuschließenden sagen durfte. Also sagte ich bloß: „Ja. Ich kann mir vorstellen, dass das schwer zu verarbeiten ist."
Nicholas Engel atmete tief durch. „Ich habe nichts mit ihrem Tod zu tun, das können Sie mir glauben. Aber wenn ich irgendwie bei der Aufklärung helfen kann, dann werde ich das tun. Sie müssen mir nur sagen, was genau ich tun kann."
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Spiel mit dem Mörder
Misterio / SuspensoDas Stadtzentrum Freudenstadts - ein Spielfeld. Ein Strauß weißer Rosen - ein weißer Spielstein. Eine Leiche - ein schwarzer Spielstein. „Lass uns spielen, Alena." Für die Kriminalpolizistin Alena Weiler sind Morde kein Spiel. Doch sie begreift schn...