Kapitel 40

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„Was ist hier passiert?"

Florian verzog das Gesicht – was vermutlich weder seiner aufgerissenen Lippe noch seiner zugepflasterten Nase gut tat. „Siehst du doch", gab er gereizt zurück und schaute aus seinem unverletzten Auge zu mir hoch. Ja, okay, was passiert war, das sah ich tatsächlich; es war nicht sonderlich schwer zu erkennen, dass ihn jemand geschlagen hatte.

Aber eigentlich hatte ich mit der ersten Frage auch etwas anderes erfahren wollen: „Wer war das?"

„Jan Wagner." Ich runzelte die Stirn. Das war ein Mann, den wir vor etwa zwei Wochen wegen einer Reihe von Einbrüchen verhaftet hatten. Bis zu seinem Prozess dauerte es noch und da Fluchtgefahr bestand, war er hier in der JVA in Untersuchungshaft, das hatte ich gewusst, das war es nicht, was mich wunderte. Auch dass er Florian, den Polizisten, der ihn festgenommen hatte, bei Gelegenheit tätlich angehen würde, konnte ich nachvollziehen. Was ich nicht verstand, war, warum Jan Wagner überhaupt die Gelegenheit bekommen hatte, Florian anzugreifen. „Der Mistkerl dachte anscheinend, das wäre eine gute Art, zu zeigen, wie sehr er sich darüber freut, sich mit mir eine Zelle zu teilen."

Ich wirbelte zu dem Vollzugsbeamten herum, der Kurniawan und mich hierher in dieses Besucherzimmer gebracht hatte. „Wieso hat Herr Schneider keine Einzelzelle bekommen?" Wie hatte irgendjemand hier denken können, es wäre eine gute Idee, einen Polizisten, ob nun potentieller Verbrecher oder nicht, zusammen mit einem Einbrecher einzusperren, der schon einmal wegen Körperverletzung gesessen hatte und den genau dieser Polizist auf frischer Tat ertappt hatte?

Der Vollzugsbeamte zuckte mit den Schultern. Er schien nicht einmal ein schlechtes Gewissen zu haben, obwohl Florian zusammengeschlagen worden war und das mit unter seine Verantwortung fiel. „Ist keine mehr frei. Ein Teil des Gebäudes wird gerade renoviert und deshalb..."

„Deshalb dachten Sie, es wäre eine gute Idee, einen Polizisten mit einem Kriminellen einzusperren, der von genau diesem Polizisten verhaftet wurde? Wie..." Wie dumm konnte man sein? Oder auch wie rücksichtslos? Ja, Florian war hier, weil wir ihn für einen Serienmörder hielten. Aber das bedeutete nicht, dass man ihn anderen Kriminellen zum Fraß vorwerfen musste. Nicht? Nein!

Doch bevor ich mich weiter aufregen konnte, fiel Kurniawan mir ins Wort. „Frau Weiler", meinte er ruhig, aber bestimmt. „Ich kläre das." Er legte dem Vollzugsbeamten die Hand auf den Rücken und verließ mit ihm zusammen das Besucherzimmer.

Sobald die Tür hinter ihnen zugefallen war und ich mit Florian alleine war, sah ich mir noch einmal seine Verletzungen an. Oder eben das, was ich davon sehen konnte – seine versteifte Haltung ließ vermuten, dass nicht nur sein Gesicht lädiert war. „Geht es?", fragte ich. „Brauchst du Schmerzmittel?"

„Du machst dir Sorgen um mich?" Florian schaute mich unsicher, aber auch ein wenig hoffnungsvoll an. „Heißt das, du glaubst mir jetzt, dass ich nicht der Mörder bin?"

Ich hielt inne. Richtig. Er hatte Recht, warum zum Teufel machte ich mir Sorgen um einen Serienmörder? Rasch schüttelte ich den Kopf. „Nein. Aber ich will auch keine Serienmörder leiden lassen." Wirklich nicht? Auch nicht denjenigen Serienmörder, der dich gerade in den Wahnsinn treibt und dabei auch noch glaubt, das alles nur für dich zu tun? Nein, auch nicht den. Vor allem dann nicht, wenn dieser Serienmörder Florian war. „Also? Brauchst du noch was gegen die Schmerzen?"

Enttäuscht schüttelte Florian ebenfalls den Kopf. „Ich hab schon was bekommen."

„Gut." Ich zögerte kurz, dann ließ ich mich auf dem Stuhl ihm gegenüber nieder. Schaute ihn abwartend an. Als Florian nichts sagte, fragte ich: „Willst du mir irgendwas gestehen?"

Er seufzte frustriert. „Ich habe niemanden umgebracht."

„Auch nicht María Müller?"

Florian riss sein unverletztes Auge auf. „Sie ist tot?" Er runzelte die Stirn. „Aber, aber sie hat doch noch gelebt, als ich noch..." Er starrte mich an, und da war wieder dieser Ausdruck von Hoffnung auf seinem zerschlagenen Gesicht. „Ist das nicht der Beweis? Alena, wenn sie getötet wurde, nachdem ihr mich verhaftet habt, dann beweist das doch, dass ich unschuldig bin!" Er sah auf die Handschellen, die ich ihm nicht abgenommen hatte, und auf die geschlossene Tür des Besucherzimmers. Langsam richtete er seinen Blick wieder auf mich. Die Falten in seiner Stirn wurden tiefer. „Warum bin ich dann noch hier?"

Spiel mit dem MörderWo Geschichten leben. Entdecke jetzt