„Scheiße." Ich machte mir nicht die Mühe, den Fluch zurückzuhalten, als ich das Handy vom Ohr nahm und es wieder zurück in meine Hosentasche steckte. Immerhin war sowieso nur Florian in Hörweite und er würde sicher auch gleich fluchen, sobald ich auf seine fragend gehobenen Brauen reagierte und ihm erklärte, was ich erfahren hatte. „Federico de Luca ist weg." Tatsächlich gab auch Florian einen leisen Fluch von sich, bevor ich weiter sprach: „Die Kollegen von der Streife haben nur die leere Wohnung vorgefunden. Offensichtlich wurde sie sehr überstürzt verlassen."
Rückblickend war ich mir nicht sicher, ob es eine gute Idee gewesen war, die Nummer anzurufen. Vielleicht hätten wir doch lieber warten und auf andere Weise herausfinden sollen, wem die Nummer zugeordnet war. Natürlich hätte das länger gedauert, aber dann wäre de Lucas Bruder jetzt nicht gewarnt und auf der Flucht.
Andererseits hatten wir nicht unendlich viel Zeit – in ein paar Stunden musste ich entweder einen Zug machen oder der Mörder suchte sich sein nächstes Opfer, schon sein drittes. Daher war es vielleicht doch besser, jetzt zumindest eine Zielperson zu haben, nach der wir suchen konnten.
„Wir geben eine Fahndung nach ihm raus", meinte Florian, während er den Wagen in eine freie Parklücke vor der Polizeiwache lenkte. Meinen Wagen, wohlgemerkt – er hatte darauf bestanden, dass er uns zurück nach Freudenstadt fuhr, weil ich seiner Ansicht nach zu aufgewühlt nach dem Besuch bei de Luca gewesen sei. Mit dem Argument, dass ich mich doch, wenn ich nicht fahren musste, besser um die Organisation der Festnahme des Bruders kümmern konnte, hatte mich Florian trotz meiner Ablehnung seines Hauptarguments dann doch dazu überredet, ihn ans Lenkrad meines Autos zu lassen. Dass er sich Sorgen um mich machte und mich auf irgendeine Weise schonen wollte, gefiel mir nach wie vor nicht, aber solange es nur dabei blieb, dass er aufs Fahren bestand, konnte ich damit leben.
„Ja, das machen wir", sagte ich und streckte die Hand nach dem Autoschlüssel aus, den Florian gerade herumgedreht hatte, um den Motor abzustellen. Nach einem kurzen, leicht belustigten Blick auf den Anhänger ließ er ihn in meine Hand fallen. Sofort schloss ich die Finger um den Anhänger, einen kleinen Smiley, den mir Isabela einmal mit der Begründung geschenkt hatte, dass ein Schlüsselbund ganz ohne Anhänger irgendwie traurig war und ich etwas brauchte, das mich im Alltag aufmunterte. Auch wenn ich anfangs skeptisch gewesen war: Manchmal half es tatsächlich, den Smiley zu sehen und daran erinnert zu werden, dass es jemanden gab, der mich allein als bloße Erinnerung schon zum Lächeln bringen konnte. Das hieß aber nicht, dass mein Kollege diesen objektiv etwas lächerlichen Anhänger länger als nötig zu Gesicht bekommen würde. „Dann also auf zu Lehmann", sagte ich daher und öffnete schnell die Beifahrertür, um aus dem Wagen zu steigen. Sobald Florian auch ausgestiegen war, schloss ich ab und konnte endlich den Schlüssel samt Anhänger wieder in meiner Jackentasche verschwinden lassen.
„Ist doch ein süßer Anhänger", meinte Florian, während wir uns zusammen auf den Weg zum Büro unseres Vorgesetzten machten.
„Mhm", brummte ich nur und hoffte, dass er es bei diesem einen Kommentar belassen würde. Immerhin gab es gleich Wichtigeres zu besprechen – und zwar, wie wir einen Mörder fassen konnten.
Einen potentiellen Mörder.
Okay, ja, Federico de Luca hatte sich am Telefon zwar verdächtig benommen und auch seine überstürzte Flucht sprach nicht gerade für seine Unschuld, aber noch konnten wir uns trotzdem noch nicht hundertprozentig sicher sein, dass er für seinen Bruder zwei Menschen ermordet hatte. Auch wenn ich mir schon ziemlich sicher war, immerhin sprach bis jetzt alles, außer de Lucas Abwehr der Vorwürfe, dafür – aber dass er abstritt, zwei Morde in Auftrag gegeben zu haben, war auch dann verständlich, wenn er es getan hatte, also sagte das so gut wie nichts aus.
Weswegen die zwei Brüder fürs Erste unsere Hauptverdächtigen bleiben würden.
Lehmanns Tür stand offen, also machte ich mir nicht die Mühe, zu klopfen, sondern betrat gleich sein Büro – immerhin müsste er mich ja bereits erwarten. Tatsächlich war mein Chef gerade im Gespräch mit dem Staatsanwalt, Pfeffer, doch als er mich sah, unterbrach er die Unterhaltung und meinte: „Ah, Frau Weiler, da sind Sie ja endlich!"
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Spiel mit dem Mörder
Mystery / ThrillerDas Stadtzentrum Freudenstadts - ein Spielfeld. Ein Strauß weißer Rosen - ein weißer Spielstein. Eine Leiche - ein schwarzer Spielstein. „Lass uns spielen, Alena." Für die Kriminalpolizistin Alena Weiler sind Morde kein Spiel. Doch sie begreift schn...