„Seid ihr jetzt endlich fertig?"
Florian, der gerade dazu angesetzt hatte, den nächsten Namen auf seiner Liste vorzulesen, hielt inne und sah zur Tür. Zu Pfälzer, der eben dort aufgetaucht war und jetzt mit einem missbilligenden Ausdruck im Gesicht die Arme vor der Brust verschränkte. „Hey", begrüßte ihn Florian. „Was gibt's denn?"
Pfälzer zog die Brauen zusammen, die langsamer als sein Haar, aber doch auch allmählich ergrauten. „Fußball", war seine knappe Antwort. Da er Florians Stirnrunzeln wohl nicht für eine angemessene Reaktion auf dieses Stichwort hielt, änderte er seinen Blick von abwartend zu Ernsthaft? und fügte hinzu: „Wir wollten das zusammen sehen. Haben wir heute Mittag doch vereinbart." Wie es aussah, war ich nicht die Einzige, die momentan Verabredungen vergaß. Vielleicht war das einerseits beruhigend. Andererseits war es aber auf jeden Fall gar nicht gut, nicht nur eine, sondern zwei Ermittler zu haben, die so viel Stress hatten, dass sie sich nicht mehr an Dinge wie Verabredungen mit Freunden erinnern konnten. Wenigstens von Florian hatte ich bis jetzt gedacht, dass er sein Leben im Moment noch im Griff hatte.
Doch offensichtlich nicht. Florian nickte zerstreut. „Ah ja, stimmt", meinte er und rieb sich die Schläfe. „Tut mir leid, hab ich grad ganz vergessen."
„Hab ich gemerkt", erwiderte Pfälzer. „Deswegen bin ich ja hier, um dich abzuholen." Er löste die Verschränkung seiner Arme, um einen Autoschlüssel hin und her zu schwenken, den er in seiner Hand hielt. „Also was ist? Kommst du jetzt?"
Florian sah auf die Liste vor sich, dann zu mir und anschließend wieder zurück zu seinem Kumpel. Er schüttelte den Kopf. „Tut mir leid, Mann, aber ich kann jetzt noch nicht. Wir sind noch nicht ganz fertig."
Pfälzer schoss mir einen scharfen Blick zu. Ganz so, als wäre es allein meine Schuld, dass wir noch nicht fertig waren. Gut, ich hatte vorgeschlagen, alle Bewohner an gefährdeten Stellen zu überprüfen. Und ich hatte darauf bestanden, das gründlich zu machen. Aber das war eben unser Job, meiner und auch der von Florian. Also brauchte mich Pfälzer gar nicht so vorwurfsvoll anzustarren.
Als ich meinen Blick ebenfalls etwas feindseliger werden ließ, wandte er seinen zum Glück von mir ab und richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf Florian. Schon war der Vorwurf in seiner Stimme kleiner als der, den ich in seinem Blick gesehen hatte. „Der Anstoß ist um 20 Uhr", sagte er zu meinem Kollegen. „Das ist nur noch ne halbe Stunde bis dahin."
Ruckartig wirbelte ich zur Uhr an der Wand herum. Tatsächlich, es war bereits 19:30 Uhr. Aber das konnte doch nicht sein. So viel Zeit konnte doch unmöglich schon vergangen sein, nicht wenn wir noch gar nicht mit meinen drei Punkten fertig waren, das... Als mein Blick weiter zum Fenster wanderte, als ich mit einem Mal die Dunkelheit außerhalb unseres Büros bemerkte, da wusste ich: Doch. Doch, es waren tatsächlich Stunden vergangen. Stunden, die wir damit verbracht hatten, kaum Ergebnisse zu produzieren.
Denn nach meinem ehemaligen Mitschüler und meiner alten Klavierlehrerin hatten wir nicht mehr viele Erfolge gehabt. Ehrlich gesagt hatten wir bis jetzt nur noch einen weiteren gehabt – eine Frau, deren Sohn ich damals ins Gefängnis gebracht hatte. Wo er sich dann das Leben genommen hatte.
Ich hatte lange Schuldgefühle deswegen gehabt. Auch wenn mir gesagt worden war, dass ich keine Schuld trug. Dass er Suizid begangen hatte, weil er mit seiner eigenen Schuld wegen der Tat, wegen der ich gegen ihn ermittelt hatte und wegen der er auch verurteilt worden war, nicht mehr hatte leben können – nicht oder zumindest nicht nur weil ihn seine Zukunft hinter Gittern so sehr zur Verzweiflung gebracht hatte. Auch wenn mir das mehrere Personen gesagt hatten, darunter auch Personen, die genügend psychologische Expertise hatten, um das einschätzen zu können, hatte ich es ziemlich lange nicht wirklich geglaubt, mir immer noch vorgeworfen, dass er ohne meine Ermittlungen vielleicht noch am Leben wäre.
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Spiel mit dem Mörder
Mystery / ThrillerDas Stadtzentrum Freudenstadts - ein Spielfeld. Ein Strauß weißer Rosen - ein weißer Spielstein. Eine Leiche - ein schwarzer Spielstein. „Lass uns spielen, Alena." Für die Kriminalpolizistin Alena Weiler sind Morde kein Spiel. Doch sie begreift schn...