Kapitel 37

44 5 6
                                    

Mein Kaffee war inzwischen kalt geworden. Doch ich trank ihn trotzdem, zum einen, weil ich das Koffein gut gebrauchen konnte, zum anderen, um irgendetwas zu tun und nicht bloß hier herumzustehen, mitten auf dem Gang vor der Tür des Vernehmungsraums. Die ersten Blicke der anderen Polizeibeamten, die gerade hier unterwegs waren oder die Kaffeemaschine bedienten, wanderten nämlich schon in meine Richtung. Blicke, die alle das Gleiche fragten: Dieses nervliche Wrack von einer Polizistin soll einen Serienmörder schnappen?

„Ja, das soll sie", knurrte ich leise in meine Tasse hinein. „Wahrscheinlich hat sie es sogar schon." Ich hielt inne. Verflucht. Ich sprach schon wieder mit mir selbst. Immerhin war mir keiner nahe genug, um die Worte verstanden zu haben, aber vielleicht hatten sie gesehen, wie sich meine Lippen bewegt hatten, obwohl offensichtlich niemand da war, mit dem ich reden könnte. Nun ja, niemand außer mir selbst. Was aber keine Option war, sofern ich noch bei Verstand war. War ich das?

Ich schüttelte den Kopf und stellte fest, dass das wahrscheinlich schon wieder ein seltsames Verhalten war. Die Blicke der anderen Polizisten ruhten immer noch auf mir, nun kamen bei den meisten noch eine gerunzelte Stirn und zusammengezogene Brauen dazu. Und der ein oder andere Blickwechsel mit einem Kollegen, der eine eindeutige Botschaft enthielt, die bei ihnen allen wohl in etwa so lautete: Die ist nicht mehr ganz dicht.

Ich musste hier weg. Das war die vernünftigere von zwei Optionen – natürlich könnte ich auch ausflippen und alle anschreien und ihnen sagen, dass sie gefälligst aufhören sollten, so zu starren, und sich lieber wieder an die Arbeit machen sollten. Aber dadurch würde ich noch viel mehr so wirken, als hätte ich absolut nichts mehr im Griff. Deshalb musste ich einfach hier weg, musste diesen Blicken durch Flucht statt Konfrontation entkommen.

Aber wohin sollte ich? Ich konnte nicht in mein Büro, da käme ich niemals zur Ruhe, wenn ich die ganze Zeit den verlassenen Schreibtisch von Florian vor der Nase hätte. Doch wohin sollte ich sonst? Mich mit einer Kaffeetasse in der Hand in der Toilette einzuschließen, würde auch nicht dazu beitragen, wieder ein halbwegs kompetentes Bild von mir zu erschaffen.

Ich versuchte, mich nach einer dritten Alternative umzusehen, ohne dabei zu verzweifelt zu wirken. Der schnellste Ausweg, um dem Gang und den Blicken zu entkommen, wäre natürlich die Rückkehr in den Vernehmungsraum. Aber Kurniawan hatte Recht, ich brauchte eine Pause, ich war jetzt noch nicht bereit, die Vernehmung fortzusetzen. Zuhören könnte ich allerdings, sollte ich vermutlich sogar, um Zeit zu sparen und auch um Kurniawan die Mühe zu ersparen, später alles, was er noch erfuhr, für mich zusammenzufassen. In den Raum mit Florian konnte ich nicht zurück, auch nicht, um einfach nur dabeizusitzen und zuzuhören. Aber wozu gab es denn den Nebenraum, von dem aus man Vernehmungen durch die einseitig verspiegelte Scheibe hindurch mitverfolgen konnte? Genau dazu.

Und dazu, wie ein Feigling vor dem gerechtfertigten Urteil von Kollegen zu flüchten.

Im Moment war es mir egal, ob ich ein Feigling war oder nicht. Ich wollte einfach nur hier weg und mich nicht länger diesen Blicken aussetzen, ob sie nun gerechtfertigt waren oder nicht. Also stieß ich mich von der Tür des Vernehmungsraums ab und ging zur Tür des angrenzenden Raumes. Ich drückte gerade die Klinke herunter, als jemand zögerlich sagte: „Äh, Frau Weiler?"

Irritiert hielt ich inne. Die Stimme kannte ich doch. Ich wandte mich um und sah erst einmal nur ein schwarzes T-Shirt, das etwas zu groß für den schlaksigen Körper seines Trägers war. Als ich den Blick hob, schaute ich in das Gesicht dieses Trägers. Nicholas Engel schenkte mir ein zaghaftes, unsicheres Lächeln. „Hi."

„Hallo." Ich runzelte die Stirn. „Was tun Sie hier?" Ich hatte ihn jedenfalls nicht herbestellt und wer sollte es sonst getan haben? Florian sicher nicht. Pfeffer hätte es mir überlassen, zu entscheiden, ob Engel gebraucht wurde oder nicht. Und Kurniawan – wusste er überhaupt von Nicholas Engel und seiner Beteiligung an diesem Fall? Mir wurde klar, dass ich bei Gelegenheit nachfragen sollte, ob er auch von diesem Teil der Ermittlungen wusste. Doch selbst wenn Pfeffer und Florian ihn auch darüber aufgeklärt hatten, was für einen Grund hätte Kurniawan, Nicholas Engel herzubitten? Wir hatten den Mörder. Nur mutmaßlich. Wir hatten Florian und eine Menge Indizien, die für ihn als Mörder sprachen. Und mit jeder Minute, die verstrich, ohne dass sich der wahre Mörder bei mir meldete, um mir mitzuteilen, dass wir den Falschen hatten und dass ich weiter suchen musste, erhärtete sich dieser Verdacht und ich war mir immer sicherer, dass Florian es gewesen war. Dass wir den Mörder in Gewahrsam hatten.

Spiel mit dem MörderWo Geschichten leben. Entdecke jetzt