Kapitel 32

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„So ein Schwachsinn."

Vorwürfe. Panikmache. Überlegungen, warum du noch nicht vom Fall abgezogen wurdest. Diese Zusammenfassung, die Florian mir vorhin geliefert hatte, traf es ziemlich gut – das konnte ich jetzt, nachdem ich den ganzen Artikel gelesen hatte, bestätigen. Es gab Vorwürfe, dass ich scheinbar lieber eine... vergnügliche Nacht verbracht und ausgeschlafen hatte anstatt zu arbeiten. Dass ich wegen der besonderen Fixierung des Mörders auf mich befangen war und nicht mehr ermitteln sollte, dass ich ungeeignet war und endlich vom Fall abgezogen werden sollte. Dass sonst noch mehr Menschen sterben würden. Ein Hauch Verschwörungstheoretik war auch enthalten – irgendetwas müsse doch dahinterstecken, dass ich trotz meiner Ungeeignetheit immer noch ermittelte, Bestechung vielleicht, ein großer Komplott der korrupten Machtstrukturen innerhalb der Polizei oder doch bloß der gelungene Einsatz weiblicher Reize?

„Ja klar", schnaubte ich und bemerkte plötzlich, dass ich schon wieder begonnen hatte, mit mir selbst zu reden. Verdammt.

Mit einem leisen Fluchen schloss ich die Seite mit dem Artikel. So. Genug von diesem Musterexemplar von Skandaljournalismus. Jetzt würde ich erst einmal den Rest meiner sicher bald beendeten Mittagspause sinnvoll nutzen, indem ich mein Essen aufaß. Während ich mit der Gabel, die Arian ebenfalls in die Tupperdose gelegt hatte, ein weiteres Stück Rührei aufspießte und danach den nächsten Bissen der zweiten Brotscheibe nahm, warf ich einen Blick zur Tür des Büros. Immer noch keine Spur von Florian oder Kurniawan. So lange konnten sie eigentlich nicht für die Gespräche mit den zwei anderen potentiellen Opfern brauchen. Aber vielleicht hatten auch sie sich für eine kurze Mittagspause entschieden und holten sich gerade noch schnell etwas zu essen, was – entgegen der übertriebenen Vorwürfe in dem Artikel – ihr gutes Recht und auch vernünftig war. Denn Arian hatte Recht: es wäre dumm gewesen, wieder nichts zu essen. Für diesen Fall musste ich mich konzentrieren und das ging ab einem gewissen Punkt nicht mehr ohne ausreichend Nahrung im Bauch.

Trotzdem kommen sie sicher gleich. Ja, wahrscheinlich. Falls es irgendwelche weiteren Probleme gab, könnten sie ja anrufen – immerhin hatte ich mein Handy wieder auf laut gestellt und würde es mitbekommen, wenn sie anriefen. Und könnte dann vielleicht helfen; zumindest sofern diese Hilfe keine Begegnung mit meiner alten Klavierlehrerin umfasste.

Als hätte einer der beiden meine Gedanken gehört, klingelte plötzlich mein Handy. Doch es war Isabelas Gesicht, das mir auf dem Display entgegenstrahlte. Eigentlich vermied ich während der Arbeit private Telefonate lieber. Aber momentan hatte ich schließlich ohnehin eine Art Mittagspause. Also schluckte ich schnell das Stück Brot in meinem Mund herunter und nahm den Anruf an. „Hey, Isabela!"

Entgegen ihrer Gewohnheit grüßte sie mich nicht mit einem fröhlichen „Hi", sondern fragte sofort: „Du und Arian?" Ja, Florian konnte mit dem Foto von uns vor dem Haus nichts anfangen, aber Isabela wusste, wie Arian aussah und dass wir uns kannten. Natürlich fiel es ihr leichter, ihn trotz dem weg gedrehten Gesicht zu erkennen.

Ich seufzte. „Isabela, es..." Es ist nicht so, wie es aussieht. Wollte ich das wirklich sagen? Diesen alten Spruch, der immer dann benutzt wurde, wenn es genau so war, wie es aussah?

„Ich hab euch in der Lokalzeitung gesehen!" Ja, so wie die halbe Stadt vermutlich. Wenigstens hatte Moritz mich vorhin nicht auf das Foto angesprochen.

Bevor Isabela zu aufgeregt werden konnte, erklärte ich ihr sachlich, dass ich Arian bloß zufällig getroffen hatte und ihn dann dazu eingeladen hatte, bei mir auf dem Sofa zu schlafen. Den Ort, an dem wir uns getroffen hatten, und den genauen Grund, warum er bei mir übernachtet hatte, verschwieg ich ihr lieber – ich hatte kein Interesse an einer Predigt über die Untauglichkeit von Alkohol als Problemlösung. Natürlich hätte sie Recht mit allem, was sie mir dann erzählen würde, aber ich wollte mir das im Moment einfach nicht antun. „Und dann hat er auf dem Sofa geschlafen und ich habe in meinem Bett geschlafen. Heute Morgen habe ich ihn dann ein Stück mitgenommen und das war's."

Spiel mit dem MörderWo Geschichten leben. Entdecke jetzt