Auf halbem Weg

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"Er hat was?", quietscht Grace begeistert, als ich ihr erzähle, wie ich Louis dabei erwischt habe zu singen.
"Das ist großartig! Wenn du die Jungs wirklich wieder zusammen bringst, dann feier ich dir zu Ehren eine Party. Hoch lebe Caitlyn Young!"

"Komm mal wieder runter, du Groupie.", versucht Jamie unsere Freundin wieder auf den Teppich zu holen und nimmt ihr das Besteck aus der Hand, das sie eben noch aus der Schublade geholt hat, weil sie damit so wild in der Luft rumfuchtelt, dass er wohl fürchtet ein Auge zu verlieren. Lachend schüttle ich den Kopf. Das ist Grace so wie ich sie kenne. "Er hat einen Song gespielt. Und? Ist doch nichts Weltbewegendes."

"Doch ist es, wenn man bedenkt, dass er sonst nie auch nur eine Melodie summt.", entgegne ich ihm. "Ganz egal, was es war, das ihn wieder dazu gebracht hat Musik zu machen. Hauptsache, er tut es. Und wenn er es auch noch vor einem Publikum tut, dann sind wir auf einem guten Weg. Und ich habe da auch schon eine Idee."

"Und die wäre?", fragt Grace neugierig und mit leuchtenden Augen. Jamie verdreht die Augen, aufgrund ihrer Reaktion und sieht ebenfalls fragend zu mir.

"Naja", beginne ich gedehnt, während meine Hände nach den Tassen greifen, um die Bestellung für Tisch vier fertig zu machen. "Im Grunde waren die Jungs schon seit fünf Jahren nicht mehr auf einer Bühne. Bis auf Liam, aber den zähl ich ohnehin nicht mit, weil er die ganze Zeit über Musik macht. Demnach befürchte ich, dass es besonders für Louis hart sein wird, wieder auf der Bühne zu stehen und vor Publikum zu singen. Was bedeutet, dass wir ihn dazu kriegen müssen, es wenigstens auszuprobieren."

"Du willst ihn einfach ins kalte Wasser werfen?" Geschockt weitet Grace die Augen. Zugegeben, es ist ein Risiko. Aber nur, wenn ich weiß, dass es ihm nichts ausmacht auf einer Bühne zu stehen, kann ich weiter meinen Plan verfolgen, die Band zusammenzukriegen. Wenn er es nämlich nicht gebacken bekommt, dann war's das. Dann gibt es sowieso keine Chance mehr für die vier. Auch wenn Simon das nicht freuen wird.

"Irgendwas muss ich tun. Laut Dr. Cooper scheint es Louis allmählich besser zu gehen. Er ist jetzt schon seit ein paar Wochen bei mir und geht brav zur Therapie. Gestern Abend haben wir sogar zusammen Karten gespielt."

"Klingt ja super.", gibt Jamie sarkastisch von sich und bekommt Graces Ellbogen in die Rippen. Schmerzvoll stöhnt er auf und reibt sich über die Brust.

"Allerdings brauche ich eure Hilfe. Und die Hilfe von Simons Assistentin. Ich wette, sie weiß, wie man ein Event plant.", sage ich und ignoriere Jamie.

"Zieh mich da bloß nicht mit rein! Nachher habe ich noch 'ne Klage am Hals.", meint Jamie, doch als er meinen bittenden Blick und den Schmollmund sieht, gibt er sich geschlagen. "Na gut, okay. Was sollen wir tun?" Das klappt aber auch immer. Grinsend klatsche ich in die Hände.

"Ich schick euch eine Nachricht, sobald ich Maddie kontaktiert habe. Aber es ist super wichtig, dass Louis vorerst nichts davon erfährt.", stelle ich klar. "Grace, du kriegst doch sicher ein paar One Direction Fans dazu zu einem kleinen Konzert zu kommen, oder?"

"Kinderleicht." Grace macht eine abwinkende Handbewegegung, als hätte sie sowas schon Tausend Mal gemacht.

"Jamie, hast du noch diesen Freund, der in dem kleinen Pub arbeitet?"

"Logisch. Aber wofür brauchst du ihn?" Verwirrt runzelt Jamie die Stirn.

"Ich brauche nicht ihn, sondern eine Location. Du verstehst?"

Jamie nickt und holt sein Handy hervor. "Bin schon dabei."

Auf meine Freunde ist eben immer Verlass. Das wird episch.

~

Als ich die Wohnung betrete, riecht es nach Pesto. Wie auf Kommando meldet sich mein knurrender Magen zu Wort, als hätte er nur auf diesen Moment gewartet. Sobald ich aus meinen Schuhen geschlüpft bin, gehe ich in die Küche und staune nicht schlecht, als ich den gedeckten Tisch und Louis vor dem Herd sehe. "Was zum..." Nicht, dass ich mich beschweren würde, aber er hat noch nie gekocht. Eher hat er sich von mir bekochen lassen. Louis dreht sich zu mir herum, um mich zu begrüßen und widmet sich dann wieder dem Essen, das er nun auf den Tellern verteilt. Langsam bekomme ich Angst.
"Was hast du angestellt?", frage ich unsicher und bleibe wie angewurzelt stehen. Irgendeinen Grund muss es ja dafür geben, dass er mir Essen kocht.
"Nichts, ich dachte nur, dass du vielleicht Hunger hast, wenn du nach Hause kommst. Sezt dich."
Langsam lasse ich mich auf dem Stuhl nieder und beobachte skeptisch jede einzelne Bewegung des Ex-Bandmitglieds. Wie er den Topf in die Spüle legt und Wasser hineinlaufen lässt. Wie er mir Wasser in ein Glas schenkt, sich setzt und anfängt zu essen. Ich bin immer noch zu perplex, um zu begreifen, was hier vor sich geht. Weil ich mich immer noch nicht bewege, schaut Louis auf und blickt mich fragend an. Er hört auf zu kauen, schluckt die Nudeln hinunter. "Willst du vorher beten oder wieso rührst du das Essen nicht an?"

Beten? Seh ich aus wie Harry Styles?

"Was? Nein. Ich bin nur... Ich bin erstaunt, dass du gekocht hast. Zumal ich nicht einmal wusste, dass du das kannst.", gebe ich schließlich von mir und löse mich somit aus meiner Starre.

"Wieso? Weil du denkst, dass jeder reiche Kerl eine Haushaltshilfe und einen eigenen Koch hat?"

"Nein, denn wenn das so wäre, sähe dein Haus deutlich gepflegter aus.", kontere ich und greife zu der Gabel neben meinem Teller.

"Punkt für dich.", meint Louis und trinkt einen Schluck aus seinem Glas. "Ich hatte mal einen Gärtner. Der hat aber gekündigt. Vor Monaten schon."

"Wieso?", frage ich und inspiziere gründlich, ob in dem Essen nicht vielleicht Gift ist. Vielleicht plant er ja einen Anschlag auf mich, weil er gestern in einen Becher pinkeln musste.

Louis zuckt mit den Schultern. "Er meinte, mein Vorgarten wär nicht mehr zu retten."

"Wieso überrascht mich das nicht?"

"Jetzt hör auf, das Essen anzustarren und iss endlich, Caitlyn."

Ich zucke zusammen und erstarre. Erwischt. "Ich will nur sichergehen." Zögernd schiebe ich mir die Gabel in den Mund und fange an zu kauen. Überrascht schaue ich auf den Teller, dann zu Louis. "Oh mein Gott. Das schmeckt ja göttlich." Leise lachend schüttelt er den Kopf und isst selbst weiter. "Erzähl Niall bloß nicht, dass du gekocht hast, sonst steht er hier noch öfter auf der Matte."

"Geht klar.", versichert Louis mir knapp. Stillschweigend genießen wir das Essen, während im Hintergrund das Radio läuft. Die Musik war mir beim Betreten der Wohnung nicht einmal aufgefallen. Nach dem Essen trinke ich mein Glas aus und greife in meine Tasche, um einen kleinen Umschlag hervorzuziehen.
"Dr. Cooper hat mir das hier gegeben. Das ist das Ergebnis deines Drogentests.", verkünde ich lächelnd. "Negativ. Aber das war ja klar, nicht?" Lächelnd reiche ich ihm den Umschlag mit dem Testergebnis, den er unsicher entgegen nimmt. Seine Augen gleiten über das Papier, doch besonders glücklich sieht er dabei jetzt nicht aus. Sollte er nicht eigentlich froh darüber sein oder mir unter die Nase reiben, dass er es mir ja gleich gesagt hat? "Ist alles okay?", frage ich prüfend. Seufzend legt mein Gegenüber das Papier auf den Tisch.

"Ja, es ist nur...", beginnt er, bricht ab, ehe er mich kurz ansieht. Dann senkt er den Blick wieder. "Hättet ihr den Test vor ein paar Monaten gemacht, wäre er sicher nicht so ausgefallen."

Das gibt es nicht. Berichtet er mir gerade, dass er Drogen genommen hat? "Oh...", ist das einzige, das aus meinem Mund kommt. Was sollte ich auch dazu sagen? Dem gibt es ja auch eigentlich nichts hinzuzufügen.

"Die Drogen... Die haben den Schmerz betäubt. Zumindest für eine Weile. Aber danach, also nachdem die Drogen ihre Wirkung verloren haben, da hat sich alles nur viel schlimmer angefühlt als vorher. Es war, als hätte sich der Schmerz vervielfacht. Deswegen habe ich irgendwann aufgehört. Weil es keinen Sinn mehr für mich gehabt hat."

Louis' Beichte sorgt dafür, dass mir Tränen in die Augen steigen. So tief saß sein Schmerz, dass er lieber gar nichts mehr fühlen wollte. Viel zu groß war er, weil seine Mutter und seine Schwester nicht mehr da waren, dass er zu Drogen griff. Man denkt immer, dass Erwachsene die richtigen Entscheidungen treffen. Dass sie wissen, was sie tun, aber das stimmt nicht. Erwachsene wissen gar nichts. Sie haben keine Ahnung von irgendwas und versuchen einfach nur zu überleben. "Hast du Dr. Cooper davon erzählt?", frage ich und blinzle die Tränen weg.

"Nein.", erzählt Louis und hebt den Kopf, um mich anzusehen. "Aber ich hatte das Gefühl, dass du das wissen solltest."

Stumm nicke ich, greife nach dem Brief und starre auf das Testergebnis. Negativ. "Tja, jetzt ist der Test negativ. Und das wird er auch bleiben." Fest entschlossen falte ich den Zettel, packe ihn zurück in den Briefumschlag und lasse ihn wieder in meiner Tasche verschwinden. Seine Mundwinkel zucken leicht.

"Du bist schwer in Ordnung, Caitlyn Young."

"Du bist auch schwer in Ordnung, Louis Tomlinson."

Nun lächelt er tatsächlich. Es ist das erste Mal, dass er das tut. Also sage ich nichts und genieße es einfach nur. Weil ich es nicht kaputt machen will. Weil er völlig in Ordnung ist. Und weil mein Herz einen kleinen Hüpfer dabei macht.

All Over Again (Teil 1)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt