Payne-Train

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Simon hat nicht zu viel versprochen, als er mir am Telefon versicherte, dass er alles Nötige in die Wege leiten würde, damit ich meine Aufgabe erfüllen konnte. Am nächsten Morgen stand ein Uber bereit, der uns direkt zum Flughafen brachte und binnen weniger Stunden hatten wir in unserem Hotel eingecheckt. Grace und ich teilen uns ein Zimmer, während Niall lieber alleine wohnen will. Er nutzt Simons Güte gnadenlos aus, indem er sofort etwas zu essen auf das Zimmer bestellte, was auch hätte eine ganze Fußballmannschaft satt werden lassen können. Dabei spielt es keine Rolle, ob er am Ende mehr als die Hälfte übrig ließ. Hauptsache Simon bezahlt dafür. Diese Einstellung gefällt mir zwar ganz und gar nicht, aber vielleicht sind Promis ja so. Davon habe ich ja gar keine Ahnung.
Grace ist eine laute Reisebegleiterin, doch sie scheint Niall zu nerven, weshalb ich es schon fast genieße, dass sie so eine quirlige Art hat. Außerdem finde ich es schön, eine Freundin bei mir zu haben. Wäre ich mit Niall alleine, würde das ziemlich komisch sein, zumal wir uns gar nicht kennen. Mit Freunden zu reisen ist eben angenehmer als mit Fremden.
Nachdem wir uns also überlegt haben, wie wir Liam finden können, verlassen wir das Hotel und laufen am Strand entlang, in der Hoffnung ihn irgendwo zu entdecken. Doch natürlich ist der Strand rappelvoll. War auch nicht anders zu erwarten. "Wieso hat sich Liam wohl dazu entschieden nach Spanien zu fliegen?" frage ich nachdenklich.

"Wieso nicht? Sonne, Meer, Strand... Außerdem kann man hier super Party machen!", erklärt Grace mir, als wäre das alles selbsterklärend.

"Spanien ist ein tolles Urlaubsziel, schon klar. Für normal Verdienende. Aber so jemand macht doch nicht auf Mallorca Urlaub. Ein Ziel wäre doch eher die Karibik oder St Tropez. Oder die Bahamas."

"Du guckst echt zu viel Trash TV.", entgegnet mir Niall und sieht sich derweil weiter um. So langsam kommen wir dem Ballermann immer näher, was bedeutet, dass es eine Menge betrunkener Leute um uns herum geben wird.
"Wie kommst du darauf, dass ich sowas gucke?", frage ich irritiert und sehe Niall von der Seite an. Seine Hände sind in den Taschen seiner Shorts vergraben und er hat sich ein kurzärmliges Hemd angezogen, auf dem lauter Palmenblätter drauf gedruckt sind. Die blickdichte Sonnenbrille verdeckt seine Augen. Er sieht aus wie ein typischer Sommerurlauber. Nur dass er statt Sandalen weiße Sneaker trägt.
"Weil du annimmst, dass Leute, die reich sind keinen normalen Urlaub machen."

"Hast du Keeping Up with the Kardashians überhaupt mal gesehen?"

"Oh Gott, du guckst das wirklich?"

"Ist ziemlich unterhaltsam.", sage ich und muss ein wenig lachen bei der Vorstellung, wie es wohl wäre, wenn die Kardashians Urlaub auf dem Ballermann machen würden. Niall schüttelt nur den Kopf. Spaßbremse.

"Liam hat getwittert!", ruft Grace und macht einen kleinen Sprung, bevor sie stehen bleibt und ihr Handy anstarrt. "Er ist in der Nähe. Ich spür das."

"Was, so 'ne Art Fangirl-Intuition?", fragt Niall belustigt und sieht sie erwartungsvoll an.

"Es ist wie ein sechster Sinn.", entgegnet Grace, was mich zum Lachen bringt.

"Lass mal sehen, was er schreibt." Schnell nehme ich ihr Handy aus der Hand und werfe einen Blick auf den Tweet, der vor wenigen Sekunden verfasst wurde.

Seid ihr bereit abzugehen?

Verwirrt runzle ich die Stirn. "Was soll das bedeuten?"

"Dass er Party macht.", antwortet Niall gelangweilt. Durch seine Brille kann ich nicht sehen, ob er mit den Augen rollt, aber ich könnte schwören, das hat er getan.

"Aber wo?", frage ich genervt.

"Er hat den Standort angegeben.", meint Grace und dreht sich um. "Das ist hier."

"Was meinst du mit hier?", fragt Niall nun doch interessiert.

"Na hier." Grace deutet auf die Bar, in die zahlreiche Leute gröllend hinein gehen. Ungläubig nimmt Niall die Sonnenbrille ab, um sich selbst zu überzeugen. Offenbar hat er nicht damit gerechnet, dass wir seinen Bandkollegen tatsächlich finden würden.

"Na dann, los.", sage ich entschlossen und will der Menschenmenge folgen, doch etwas - genauer gesagt Niall - greift nach meinem Arm und zieht mich zurück.

"Woah, du willst da einfach reingehen?"

"Ja, warum nicht?", entgegne ich fragend.

"Na, weil wir nicht wissen, was uns erwartet."

"Du hast nur Angst, ihm zu begegnen. Komm, sei kein Schisser."

"Ein Mädchen wie du unter all den betrunkenen Kerlen. Hältst du das echt für eine gute Idee?"

"Wieso? Ich hab doch dich als Aufpasser." Schulterzuckend greife ich nach seiner Hand und ziehe ihn mit mir nach drinnen. Grace folgt mir ohne zu zögern. Kann Niall nicht ein bisschen so sein wie sie? Mit vorsichtigen Schritten dränge ich mich zwischen die Leute hindurch und halte Ausschau nach dem One Direction Mitglied. "Siehst du ihn?", frage ich in Graces Richtung, doch diese verneint nur, indem sie den Kopf schüttelt. Als die Leute anfangen zu jubeln, blicke ich auf die kleine Bühne, auf der ein Mann mit Mikrofon steht. "Seid ihr bereit richtig abzugehen?", brüllt er ins Mikro und die Menge bejaht es mit einem lauten Gröllen. "Dann Applaus für unseren Ballermannkönig, Payne Train!"
Niall, der dicht hinter mir steht, erstarrt augenblicklich. Sein Gesicht ist mindestens so weiß wie das Haus des amerikanischen Präsidenten und sein Mund öffnet sich schockiert.
"Oh nein...", murmelt er, doch ich verstehe überhaupt nicht, was sein Problem ist. Bis ich wieder zur Bühne schaue. Ein junger Mann steigt hinauf und schnappt sich das Mikrofon. Er trägt ein knallbuntes Hemd, das mit einem Blumenmuster versehen ist. Außerdem hängt ein hawaiianischer Blumenkranz um seinen Hals und er trägt eine viel zu große Sonnenbrille im Gesicht. Ungläubig wische ich über das Display meines Handys, um ein Bild von Liam herauszusuchen. Zwar sieht er darauf viel jünger aus, aber selbst ich erkenne sofort, dass es sich bei dem Mann um keinen geringeren als Liam Payne handelt.

"Der Payne Train ist wieder am Start, Leute! Alle Mann einsteigen! Chooh-Chooh!"

Meine Augen weiten sich automatisch. Payne-Train? Hat er das wirklich gerade gesagt? Unschlüssig, was ich jetzt tun soll, schaue ich zu Niall und Grace, denen ebenfalls der Mund offen steht. Wow, sogar Grace ist geschockt. "Was tun wir jetzt?", frage ich laut über die Musik hinweg. Keiner der beiden rührt sich eine Sekunde. Scheint, als müsste ich die Sache selbst in die Hand nehmen.
"Komm mit." Wild entschlossen greife ich nach Nialls Hand, um ihn nach vorne zur Bühne zu ziehen. Vielleicht reagiert der Payne-Train ja, wenn er Niall sieht. "Was hast du vor?", höre ich Niall unsicher fragen. Ohne seine Frage zu beantworten, versuche ich Liams Blick aufzufangen. Dieser scheint sich jedoch sichtlich wohl auf der Bühne zu fühlen, während er sich zur Musik bewegt und seine Schlagernummer performt. Vom Pop- zum Schlagerstar. Wie kann man nur so tief sinken? Sobald er zu Ende singt, rufe ich seinen Namen. Da er allerdings nicht auf den Namen Liam reagiert, muss ich es anders versuchen. "Jo, Payne-Train!"
Grinsend sieht Liam in meine Richtung. Ruckartig schubse ich Niall nach vorne, der beinahe über seine Füße stolpert. Neugierig beobachte ich Liams Reaktion. Tatsächlich hört er automatisch auf zu grinsen und zu hüpfen. Sein Blick ist vollkommen ernst, fast wie versteinert. Bingo.

All Over Again (Teil 1)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt