Geständnisse

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Die Erkenntnis trifft mich wie ein Schlag. Es fühlt sich an, als hätte ein Meteorit eingeschlagen und nun muss ich alles wieder in Ordnung bringen, was durcheinander geraten ist. Nämlich meine Gedanken. Simon hatte so aufrichtig gewirkt, dass mir nie in den Sinn gekommen wäre, dass er mich anlügen könnte. Dass alles, was er gesagt hatte, ein jämmerliches Schauspiel war. In Wahrheit liegt ihm nämlich nichts an den Jungs. Es ging bei ihm immer nur ums Geld. Kein Wunder, dass die Jungs irgendwann nicht mehr konnten und alles abgebrochen haben. Die Pause war ein Fluchtweg, den sie genutzt haben, um dem Elend zu entkommen. Und wenn man auf der Flucht ist, sieht man nicht zurück. Ganz egal, wie schön die Erinnerungen an die Zeit bei One Direction auch gewesen sein mag. Von meinem Platz auf dem Balkon aus kann ich auf die überfüllten Straßen Londons sehen. Der Himmel ist von Wolken bedeckt, die nicht zulassen, dass man einen Blick auf die Sterne erhaschen kann. Die Wolken passen genau zu meiner Stimmung. Sie sind grau, verdecken alles Schöne und bewegen sich nicht von der Stelle. Als der Wind in meine Richtung kommt, ziehe ich die Decke um meine Schultern enger, um mich einzumurmeln. So langsam merkt man, dass der Winter einbricht. Geht es eigentlich noch deprimierender? Ich lehne mich in dem weißen Plastikstuhl zurück und starre auf die Straßen. Aus dem Augenwinkel nehme ich wahr, wie die Balkontür sich öffnet und Louis nach draußen tritt. Kurz schaue ich auf, dann wende ich den Blick wieder ab. "Hey", begrüßt er mich und holt eine Zigarette aus seiner Schachtel, bevor er sie sich zwischen die Lippen klemmt. Das Feuerzeug zieht er aus der Hosentasche seiner grauen Jogginghose, zündet die Zigarette an und zieht dran. Als er den Rauch wieder ausbläst, unterdrücke ich einen Hustenreiz. "Tut mir leid, dass du dir das heute anhören musstest.", unterbricht Louis die Stille nach einer Weile.
"Es entsprach ja nur der Wahrheit, oder etwa nicht?", entgegne ich ihm ohne den Blick von den Straßen abzuwenden.

"Schon, aber vielleicht hätten wir es dir schon viel früher sagen sollen."

"Falsch.", sage ich harsch. "Niall hätte es mir schon viel früher sagen müssen. Direkt, als ich ihn angetroffen und von Simons Idee erzählt habe."

"Mach ihm da keinen Vorwurf, Caitlyn. Ich glaube nicht, dass er darüber großartig nachgedacht hat." Louis zieht erneut an der Zigarette, ehe er sich den zweiten Stuhl schnappt und neben mir darauf Platz nimmt.

"Ich komme mir nur so unfassbar dumm vor.", gebe ich seufzend zu. Die ganze Zeit über habe ich gedacht, dass ich irgendwas erreichen könnte. Stattdessen stellt sich heraus, dass ich total naiv bin und alles eine dicke fette Lüge war. Glückwunsch, Caitlyn! Du bist ein armseliges Würstchen.

"Du bist nicht dumm.", widerspricht Louis mir augenrollend. "Wenn ich ehrlich bin, hab ich auch beinahe daran geglaubt, dass wir wieder zusammen Musik machen würden."

"Ich kann mir nur schwer vorstellen, wie das damals für euch gewesen sein muss." Niedergeschlagen senke ich den Kopf und spiele mit den Enden meiner Decke.

"Ziemlich beschissen."

"Das Glas steht drinnen." Mit dem Daumen zeige ich hinter mich auf die Wohnung, in der wir das Marmeladenglas stehen haben. Mittlerweile ist es schon halb voll. Und das Geld stammt hauptsächlich von Louis. Welch Überraschung.

"Du solltest viel mehr fluchen. Das wirkt therapeutisch.", gibt Louis schmunzelnd von sich.

"Ja, ich merk schon. Dir scheint es schon viel besser zu gehen.", gebe ich frech zurück, wofür ich seinen Mittelfinger ernte. Das ist schon fast Routine, dass wir uns gegenseitig aufziehen. Ihn als Mitbewohner zu haben wird mir fehlen, wenn er wieder zu Hause einzieht. Zwischendurch war das alles ziemlich erfrischend. "Kein Wunder, dass Zayn die Band verlassen hat.", murmel ich vor mich hin. Einige Minuten lang sagen wir beide gar nichts mehr bis Louis die Stille mit seiner Stimme durchbricht.

"Weißt du, als Zayn die Band verlassen hat, war ich ziemlich wütend auf ihn. Das waren wir alle. Aber... Eigentlich war ich nicht wirklich sauer darüber, dass er gegangen ist."

"Wie meinst du das?" Stirnrunzelnd blicke ich ihn von der Seite aus an.

Louis nimmt einen weiteren Zug aus seiner Zigarette und bläst den Rauch aus. "Naja... Ich denke, ich war eigentlich nur sauer auf mich selbst. Weil ich, im Gegensatz zu Zayn, viel zu feige war, um auszusteigen. Ich schätze, ich war einfach neidisch. Dass er es geschafft hat sich von Simon abzuwenden und wir nicht."
So habe ich das noch gar nicht betrachtet. Womöglich ist das auch der Grund, wieso die anderen nicht mehr mit Zayn reden. Er war der einzige, der erkannt hat, dass es am besten war zu gehen, bevor es schlimmer wurde. Nachdem Louis zu Ende geraucht hat, zerdrückt er die Zigarette in dem Aschenbecher, den ich irgendwann mal gekauft hatte, weil mir die Zigarettenstummel auf dem Balkonboden allmählich auf die Nerven gegangen sind. "Du Caitlyn?"

"Ja?" Ich wende den Blick von den vorbeifahrenden Autos ab und blicke Louis an. Sein Blick ist auf den Boden gerichtet, während er spricht.

"Ich denke, es ist Zeit nach Hause zu gehen."

Auch wenn ich am liebsten widersprechen würde, weiß ich genau, dass er recht hat. Er hat lange genug bei mir gewohnt. Es wird Zeit für ihn wieder in sein Leben zurückzukehren. Heimlich hoffe ich, dass ich weiterhin ein Teil davon sein werde. Doch vielleicht muss ich mir nicht nur eingestehen, dass Simon ein Arschloch ist, sondern auch, dass die Zeit mit den Jungs vorbei ist. Verdammt. Ich schätze, die nächsten Pfund, die im Marmeladenglas landen, werden meine sein.

All Over Again (Teil 1)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt