.𝕹𝖔𝖙𝖍𝖎𝖓𝖌𝖓𝖊𝖘𝖘.

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N E L E U S

"...ein plötzlicher Winter legt sich über Seoul, mitten im Oktober..."

Die Fernseher und Werbetafeln in der Innenstadt von Seoul verkünden allesamt dieselben Nachrichten:

"...verschneite Straßen und massenhaft Stau verwundern so einige Bewohner der Hauptstadt von Südkorea..."

Sturmgraue Wellen schlagen gegen die Stiefel von Neleus, der am Hafen von Incheon steht und auf das weite Meer hinausblickt.

Das Rauschen der Wassermassen dröhnt in seinen Ohren, schickt ihm die tiefe Stimme des Meeres und zerläuft mit einem Geschmack von rauem Salzwasser auf seiner Zunge.

Der Wassergott bewegt seine Stiefel geschmeidig über den sandigen Untergrund; trägt sie immer weiter in das kalte Meer hinein und erfühlt die aufgewühlte Wasseroberfläche mit seinen geöffneten Händen.

Schatten von schreienden Möwen sausen über seinem Kopf hinweg, das silberne Haar zersaust vom starken Wind.

Neleus nimmt einen tiefen Atemzug, und das kalte Wasser zerrt an seinen Kleidern, drängt ihn, endlich heim zu kommen und ein Teil davon zu werden.

Er braucht die Quelle seiner Existenz: den tiefen Ozean, um seine rasenden Gedanken zu ordnen.

Um zumindest für eine kurze Zeit alles zu vergessen; die Rückkehr von Kronos, Deimos, die Bedrohung durch dessen psychopathischen Zwillingsbruder Phobos...

Wann immer er nicht mehr weiß, wohin, vertraut er auf die leitenden Strömungen des Meeres.

Sie werden ihn antreiben, ihn führen und ihm die richtige Richtung weisen.

Neleus schließt seine großen, mandelbraunen Augen und taucht in die kalte Strömung ein, welche noch in der Sekunde einst mit ihm wird, in der er seinen ganzen Körper- seine ganze Materie und alles was er ist, dem Ozean bereitwillig hingibt.

Und als er tiefer in das Wasser eintaucht, geschieht genau das, was er wollte:

Die ganze Welt wird taub; der industrielle Lärm des Hafens- ersetzt durch die drückende Stille der Wassermassen.

Sie bekommt eine neue Farbe; der graue Himmel überpinselt vom traumhaften, tiefen Blau des Ozeans.

Eine neue Welt taucht vor seinen Augen auf; bunte Fische, schimmernde Muscheln und die funklende Wasseroberfläche anstelle eines traurigen, bewölkten Himmels.

Neleus lässt seine Stiefel vollkommen schwerelos über den Meeresboden gleiten und summt seine ganz eigene Melodie, die durch den unendlichen Ozean hallt.

Sein silbernes Haar wirbelt wie in Zeitlupe um seinen Kopf. Er bewegt sich nur noch langsam und elegant, ganz als würde er tanzen wie im THIRSTY, und hier unten ist es die Normalität.

Keine Eile, keinen Lärm, keine Verpflichtungen.

Der Halbgott sinkt vollständig zu Boden, die Arme um seine Knie geschlungen- und fühlt, wie er sich in dem Wasser auflöst.

Er stellt sich vor, er würde in den kalten Strömungen des Meeres verschwinden wie dichter Nebel in einem Gewitter, während er aufhört zu denken... und zu fühlen.

𝐓𝐇𝐈𝐑𝐒𝐓𝐘Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt