.𝕾𝖍𝖆𝖉𝖔𝖜𝖘.

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VIS

Es gab eine Zeit, da besaßen die alten Götter solch eine Macht, dass sie dem Mond befehlen konnten, hoch am Himmel stehen zu bleiben- so lange, bis sie ihm schließlich gewährten, einen neuen Tag anzubrechen.

Wenn sie nur wollten, könnten Nacht oder Tag- eine Stunde, eine Sekunde, unendlich sein und niemals vergehen.

Als an diesem Morgen die ersten Strahlen der aufgehenden Sonne auf dem schwarzen Haar von Kronos schimmern, wünscht sich der Halbgott des Feuers, er könnte der Morgensonne befehlen, zu warten.

Oh ihr Götter, lasst diesen Moment noch nicht vergehen...

Der Ausdruck in Vis' goldbraunen Augen ist sanft, gefüllt mit einem Glanz tiefster Zuneigung, und seine wohlgeformten Lippen bilden ein verträumtes Lächeln.

Seine Fingerkuppen streichen so leicht über Kronos' glatte, blasse Wange, dass es auch das Sonnelicht hätte sein können, das ein warmes Kitzeln auf seiner Haut hinterlässt.

Ihre nackten Körper sind in die weiße Federbettwäsche im breiten Doppelbett von Vis' Schlafzimmer eingerollt, wo Kronos seine muskulösen Glieder schlapp und bequemlich von sich streckt, während Vis' kurvige Statur auf der Seite liegt, um ihn beim Schlafen zu betrachten.

Was der Halbgott in diesem Moment fühlt, ist alles, wonach er sich jemals gesehnt hat.

Sein Leben lang suchte er nach Erfüllung, und Kronos stoplerte ihm eines Tages über den Weg, machte ihn ganz, gab ihm einen Sinn, und erweckte Gefühle in ihm, die er für einen einfachen Mythos glaubte.

Leider besitzt der Sohn von Hephaistos und Aphrodite jedoch nicht annähernd solch eine Macht wie die Götter der alten Legenden; der Moment vergeht, und Kronos schlägt seine Augen auf.

"Lauf!", schreit dieser unvermittelt und fährt kerzengerade in dem breiten Bett hoch, die Schultern beben von seiner aufgeregten Atmung.

Die Luft um sie herum verliert schlagartig ihren goldenen Glanz, als hätte sich ein tiefer Schatten über das Schlafzimmer gelegt und die warme Sonne verschluckt.

"Jeon...!", Vis setzt sich ebenfalls auf und schlingt beide Arme um Kronos breiten, nackten Rücken.

Seine warme, goldbraune Haut schmiegt sich an den blassen Körper von Kronos, und er kann spüren, wie sein kräftiger Puls sich unmittelbar wieder beruhigt.

Dieser legt behutsam eine Hand um den schmalen Arm vor seiner Brust und drückt ihn sanft: "Vis.", keucht der Gott erleichtert und schließt seine Augen.

Längere, schwarze Haarsträhnen fallen ihm zersaust in sein angespanntes Gesicht.

"Alles okay?", fragt Vis mit seiner weichen, tiefen Stimme und küsst ihn auf seine Schulter, bevor er sein Kinn darauf ablegt.

"Jetzt schon.", antwortet Kronos und küsst Vis' Arm. Eine beruhigende Geste, und Vis löst vorsichtig die Umarmumg, damit er ihm wieder in die Augen sehen kann:

"Du siehst etwas, nicht wahr?", fragt er vorsichtig und gräbt seine Hand in das dichte, schwarze Haar von Kronos Hinterkopf. Einzelne, seidene Haarsträhnen gleiten ihm durch die Finger wie glänzende, dunkle Tinte.

Er kann genau beobachten, wie sich seine Schultern wieder versteifen, bevor er seinen Kopf leicht in Vis Richtung schwenkt, die markanten Augenbrauen überrascht zusammengezogen.

'Woher weißt du das?', hört er ihn in Gedanken fragen.

Vis lehnt sich in dem Bett zurück und stützt beide Arme auf seinen Ellenbogen ab, wobei seine Augen die scharfe Linie von Kronos Kinn studieren.

𝐓𝐇𝐈𝐑𝐒𝐓𝐘Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt