.𝖂𝖆𝖗 𝖔𝖋 𝕲𝖔𝖉𝖘.

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VIS

Auf eine ironisch natürliche Weise ist Vis niemals kalt gewesen.

Der Sohn des Hephaistos trägt das Feuer immer mit sich, sein Fluch und sein Segen zugleich.

Nachdem er jedoch die Göttin Aphrodite- seine eigene Mutter- erblickt hat, spürt er eine ungewohnte Kälte in seinem Inneren.

Vis stützt sein Kinn auf das angewinkelte Knie und blickt in den verschneiten Garten vor dem Thronsaal der Persephone.

Er greift gedankenverloren nach den gefrorenen Rosen- nur eine flüchtige Berührung, und schon schmilzt das Eis unter seinen Fingerspitzen. Die dunkelroten Blätter breiten sich stolz in seiner Handfläche aus, ein sanftes und weiches Gefühl auf seiner Haut.

"Als Aphrodite sich das erste Mal aus dem Meer erhob, soll sie grünes Gras unter ihren nackten Füßen erzeugt haben, wo immer sie hinging.", erzählt die Stimme der Persephone plötzlich und Vis fährt erschrocken herum.

"Und?", fragt Vis mit einem bemüht gelangweilten Ton.

Persephone setzt sich neben ihn auf die steinernen Stufen.

"Unsere Gaben sind gar nicht so verschieden.", teilt sie ihm mit und lächelt zuversichtlich.

Vis beobachtet schweigend, wie sich zahlreiche, kleine Schneeflocken aus der Luft in ihren honigbraunen Locken verfangen.

"Richtig, du bist die Göttin des Frühlings. Spontane Frage: Woher der Entschluss, alles einzufrieren?!"

Sie hebt erstaunt die Augenbrauen:

"Nach hunderten Jahren von Frühling wäre dir auch mal nach etwas Abwechslung." , antwortet sie trocken- doch Vis hört die Traurigkeit in ihrer Stimme.

"Chione hat mir den Winter gebracht, mit der stärksten Brise, die der Nordwind zu bieten hatte.", sie lächelt glücklich. "Nichts gefriert wirklich, etwas Feuer-", setzt sie an, und Vis beendet ihren Satz, als er versteht:

"...und sie sind wieder beim alten."

Deshalb ist die Rose unter seiner Hand wieder voll erblüht, und deshalb konnte Kronos ihn mit der Flamme des Hephaistos wieder aus seiner kalten Starre lösen.

Nichts von alledem ist wirklich gefroren.

"Es hält nicht ewig an- die Wärme des Frühlings kehrt immer wieder zurück."

Vis entgegnet ein schwaches Lächeln: "Ich erinnere mich noch an den Tartaros, als Hades herrschte. Seine Welt war geprägt von Schreien, dreckigen Deals und verdammten Seelen.", gesteht der junge Feuergott und mustert Persephone eindringlich:

"Du hast den Tartaros verändert. Zum Guten, meine ich."

"Das Ende ist ein unausweichlicher Bestandteil des Lebens. Die Macht im Tartaros ist wunderschön, man muss nur genau hinschauen. Sobald die Menschen aufhören, Angst vor ihm zu haben, sehen sie... dass die Energie des Jenseits ebenso einzigartig ist wie die des Lebens, das sie dort oben erfahren.", sie blickt hinauf in die endlosen Weiten, aus denen der Schnee hinabrieselt.

"Wie nimmst du ihnen die Angst vor dem Jenseits?", will Vis wissen.

Sie erwiedert nur ein flüchtiges Zwinkern: "Dieses Geheimnis ist nur den Sterblichen vorbehalten."

Er schüttelt nur mit dem Kopf, doch ihre verspielte Art bringt ihn unwiderruflich zum Lächeln.

Na schön.

"Was wirst du tun, wenn du die gebündelte Macht der großen Göttinnen in dir trägst?", fragt er stattdessen.

Persephone seufzt tief:

𝐓𝐇𝐈𝐑𝐒𝐓𝐘Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt