37. Kapitel

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"Hey mein Liebes", begrüßte meine Mutter mich und lächelte mir zu. Sie sah besser aus als gestern, bemerkte ich. Sie lief durch die Haustür und führte meinen Vater an der Hand mit sich. Er hatte seinen Blick auf den Boden gerichtet. 

"Guten Morgen Vater", sagte ich kühl und blickte ihn vorsichtig an, als könnte er sich urplötzlich in einen feuerspeienden Drachen verwandeln. Ich bemerkte, wie ich den Atem anhielt. Mein Vater sah mich an und musterte mich. Es war auf einmal seltsam still geworden.

"Wie war es beim Arzt?" fragte ich meine Mutter schnell, um die Situation aufzulösen. Ich bemerkte, wie ihre Wangen erröteten. "Ganz gut, alles super", erwiderte sie schnell und schloss die Haustür hinter meinem Vater. "Ich mache Richard noch etwas zu essen. Magst du auch noch was?" fragte sie mich. 

Ich schüttelte den Kopf. Viel lieber würde ich sie fragen, was es mit dem Arbeitszimmer meines Vaters und den ganzen Büchern auf sich hatte. 

Während meine Mutter kochte und mein Vater die Zeitschrift auf dem Küchentisch durchblätterte, beobachtete ich die beiden. Ich konnte mir kaum noch vorstellen mit ihnen zu leben. Die ganze Zeit schien so fern zu sein. 

"Achja", setzte ich an. "Welcher Arzt hat eigentlich an einem Samstag Zeit?" fragte ich. Meine Mutter sah mich kurz an, richtete dann aber wieder ihren Blick starr auf den Toast den sie zusammen mit einem Ei und Butter in der Pfanne wendete. Sie schien nachzudenken, denn sie brauchte einige Sekunden ehe sie "Dr. Graham" antwortete.

"Kits Vater?" schlussfolgerte ich erstaunt. "Ohja, genau. Kits Vater. Ich hatte ganz vergessen, dass ihr beide ja befreundet seid." Sie strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. "Oder befreundet wart", fügte sie hinzu. Mich beschlich ein seltsames Gefühl bei der Art wie sie auf meine Frage reagiert hatte. 

"Und was genau habt ihr heute gemacht?" fragte ich weiter. Sie seufzte. "Ave, das sind halt so Dinge mit deinem Vater, die man abklären muss mit", erwiderte sie mit einem genervten Unterton in der Stimme. Ich hob abwehrend die Hände. "Man darf doch noch fragen."

Sie stemmte eine Hand in die Hüfte und lächelte mich besänftigend an. "Ich weiß, mein Schatz. Tut mir leid." Sie wich mir aus - Das war eines der Dinge, die mich wütend machten. Sie entging Diskussionen so gut es ging. Sie ergriff die Flucht. Ob ich wohl auch so geworden bin? 

"Hast du etwa was mit Mr. Graham am Laufen?" fragte ich also direkt heraus. 

Die Augen meiner Mutter weiteten sich schockiert. Ihr Mund klappte auf als wollte sie etwas sagen, doch sie schloss ihn wieder und sah sofort zu Richard. Dann wieder zu mir. Und wieder zu ihm. Er blätterte weiter unbekümmert in der Zeitung. Ihr Brustkorb hob und senkte sich nun in einem deutlich schnelleren Rhythmus. Sie blickte zu Boden, drehte sich wieder weg von mir und stocherte schließlich mit dem Pfannenwender im Toast herum. 

Ich hatte die Frage zwar mehr oder weniger als Witz gemeint, doch ihre Reaktion schockierte selbst mich. "Mom?" fragte ich in der Hoffnung nun endlich Klarheit zu bekommen. "Du kannst nicht lügen. Raus mit der Sprache!"

Sie kratzte sich am Hinterkopf, drehte die Herdplatte aus und holte einen Teller aus dem Schrank. Ich beobachtete sie. Eigentlich war ihr Verhalten Antwort genug. Und obwohl ein neuer Partner an der Seite meiner Mutter mein Wunsch gewesen ist seit ich klein war, empfand ich plötzlich eine unbändige Wut auf sie. 

"Und dafür sollte ich hierher kommen?" hörte ich mich schreien.

Das Blut rauschte mir in den Ohren. Meine Fäuste waren geballt. Ich war so wütend auf sie, auf mich, auf Dr. Graham, auf Kit - auf alle. Ich spürte eine unbändige Energie meinen Magen aufsteigen, sie drückte im Hals und ließ meine Adern pulsieren. 

"Hast du mich herbestellt, damit du dir eine schöne Zeit mit Dr. Graham machen kannst?" 

Meine Stimme schien den Raum zu zerteilen. Auf der einen Seite ich. Auf der anderen meine Mutter. Die starrte mich an und blieb unfähig stehen. 

"Dafür soll ich mein Leben, das ich mir neu aufgebaut habe aufs Spiel setzen?" 

Ich erhielt keine Antwort, kein Ventil, dass all die Gefühle in mir entweichen lassen konnte. Also drehte ich mich um und rannte die Treppe hinauf. Ich stürmte in mein Zimmer, griff nach meiner Jacke und Schuhen, zog sie an und rannte wutentbrannt aus dem Haus. Ich lief einfach nur raus. Blind vor Wut folgte ich dem Gehweg. 

Weg. Einfach weg. Ich musste raus. 

Ich spürte wie alles hoch kam. Alles, was die letzten Jahre und Wochen geschehen war. Mein Kopf schien zu platzen. Mein Hirn spuckte Situationen und Gespräche aus, ließ sie alle in einem Strudel aus Verwirrung in mir aufsteigen. Als würde man Fächer aufreißen und alle geordneten Blätter im Zimmer umherfliegen lassen. 

Mit dem nächste Schritt knallte ich gegen eine weiche Wand aus Stoff. 

Ich erschrak und als ich aufsah bemerkte ich wie verschwommen mein Sichtfeld aus Tränen war. "Ave?" fragte mich eine vertraute Stimme besorgt. Ich blinzelte gegen das Wasser in meinen Augen an. Dann nahm ich den Geruch wahr. Wärme und Geborgenheit. 

"Ethan?" fragte ich verzweifelt. Doch er sagte nichts. Ich spürte wie er mich an sich zog, mir übers Haar strich. Ich spürte seine Wärme, wie alles von mir abfiel. Ich ließ los und ließ mich in seine Arme sinken. 

My BabeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt