49. Kapitel

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Kit weckte mich als die Sonne schon wieder zu tief stand, um es Morgen zu nennen. Er sah müde aus und ich konnte mir vorstellen, dass die Sofalehne für einen ausgewachsenen Mann vermutlich nicht der idealste Platz zum Schlafen war. 

"Hey Ave, Cat meinte, du brauchst nen Fahrer."

Ich richtete mich auf. "Hör nicht auf alles, was meine beste Freundin sagt", warnte ich, lächelte ihm dann aber zu. "Warum hat sie das überhaupt gesagt?" Ich streckte gähnend meine schmerzenden Glieder. Die Couch war offensichtlich auch für mich suboptimal.

"Weil du deinem Chef deine Gefühle gestehen sollst!" teilte Cat mit als wäre es das selbstverständlichste auf der Welt. Sie stolzierte ins Wohnzimmer und hielt zwei Tassen Kaffee in den Händen, wovon sie einen Kit entgegen streckte. 

"Hey, wo ist meiner? Willst du mir wirklich sagen, dass du einen fremden Mann deiner besten Freundin und Mitbewohnerin vorziehst?" schmollte ich. Kit grinste verlegen und nahm die Tasse dankend an. Cat verdrehte die Augen. Mir fiel auf, dass sie sich zurecht gemacht hatte. Sie trug Mascara und Lippenstift. Ich verengte die Augen und stand auf. "Cat, auf ein Wort?"

Ich lief an ihr vorbei zum Bad, dort ließ ich die Tür angelehnt und begann mir die Zähne zu putzen. Cat kam kurz darauf nach und lehnte sich gegen das Waschbecken. "Ja, Mutter?" fragte sie höhnisch. Ich griff an ihr vorbei und drückte die Tür komplett zu, dann spuckte ich aus, spülte mir den Mund und betrachtete sie eingehend. Zugegeben, sie sah gut aus. Entspannt und glücklich, auf eine Art, wie ich sie schon länger nicht mehr gesehen hatte. Ich seufzte. "Ehrlich?" 

Ihre Augen wurden groß. "Was? Nein!" entgegnete sie empört und stemmte die Hände in die Hüften. "Gib einfach zu, dass du ihn magst", sagte ich leise und warf demonstrativ einen Blick auf die Tür hinter ihr. Sie senkte die Stimme. "Und was wäre, wenn es so wäre?" zischte sie. Ich zuckte die Schultern. "Er ist ein alter Freund-" "-den du ewig nicht mehr gesehen hast!" beendete sie meinen Satz. "Avery, du bist in deiner aktuellen Misere nicht in der Lage, Amor zu spielen!"

Ich schnaubte und grinste, weil sie Recht hatte. Eigentlich fand ich es auch eher amüsant, aber auch irritierend und hoffentlich nicht seltsam, sollte es soweit kommen, dass sie sich daten würden. "Er wohnt weit weg", stellte ich fest und verschränkte die Arme vor der Brust. Cat hatte mir einmal gesagt, dass sie niemals eine Fernbeziehung eingehen würde. 1:0. 

Jetzt grinste sie. "Er meinte, er wollte seinen Kundenstamm sowieso auf eine größere Stadt ausweiten. Das macht ja auch nur Sinn."

Mein Mund klappte auf. "Über sowas habt ihr schon gesprochen?"

"Avery, es ist Mittag. Du warst halb tot auf der Couch und das obwohl du schon bei der Herfahrt gepennt hast."

"Darüber habt ihr auch geredet? Irgendwelche Infos, die noch fehlen? Blutgruppe, Familienstammbaum?" 

Cat winkte ab. "Ach sei leise, Ave. Wenn du dir Ethan nicht endlich schnappst, gönn mir wenigstens auch ein bisschen Glück. Es sei denn du willst, dass ich wieder Tom-"

Ich umarmte sie. "Lad mich dann einfach zu eurer Hochzeit ein, ja?" 

Ich konnte förmlich hören, wie sie ihre Augen verdrehte, doch sie schloss auch die Arme um mich. "Hol dir deinen Depp, der sich Chef schimpft."

***

Ich hatte meine Finger mittlerweile wund geknetet, doch die Nervosität schien nicht nachzulassen. Im Gegenteil. Ich wurde immer unruhiger und mein Hals schien enger zu werden. Ich schnappte nach Luft, doch es kam nichts in meiner Lunge an. 

Cat nahm meine Hand in ihre. "Beruhig dich, Ave. Du tust ja so als würdest du zu deiner Hinrichtung gehen."

Fast

Kit sah in den Rückspiegel und warf uns einen besorgten Blick zu. Wir saßen gemeinsam auf der Rückbank in seinem Auto, während ich uns durch den Verkehr zu meinem Arbeitsplatz lotste. Zumindest diesen Weg kannte ich dank Mikes Fahrgemeinschaft gut genug. 

Ich hatte die Hoffnung, dass Ethan im Büro war. Ich hatte die Hoffnung, dass ich den Mut finden würde, ihm zu sagen, dass ich Gefühle für ihn hatte. Egal, wie seltsam unsere Beziehung war oder wie auch immer man das zwischen uns beschreiben konnte. 

Ich musste ihn einfach fragen. 

Ich dachte an unseren Kuss und wie er plötzlich bei meinem Elternhaus aufgetaucht ist. Wie er da war, weil er sich Gedanken gemacht hatte und wie er abrupt geflüchtet ist. 

Wie konnte es nur so schnell auf und wieder ab gehen? 

Als ich das Gebäude erkannte, gab ich Kit Bescheid. Er fuhr an den Straßenrand und stellte den Motor ab. Die Stille war plötzlich ohrenbetäubend. 

Ich atmete tief ein. Cat drückte meine Hand.

"Na dann." Mit einem Klick befreite ich mich von dem Gurt und öffnete die Tür. "Ich schreib euch. Setzt euch einfach in ein schönes Café oder so. Keine Ahnung, wie schnell oder langsam ich hier durch bin."

Beide nickten und sahen mich mit großen Augen an. Sie schienen fast nervöser zu sein als ich es war. Oder zumindest genauso nervös.

Ich stieg auf den Fußweg und zwang mich zu einem letzten Es-wird-alles-gut-Lächeln, bevor ich die Tür schloss und mit schnellen Schritten zum Eingang lief. Ich fragte mich, ob die anderen mir ansehen konnten, was ich vor hatte. 

Der Aufzug war langsam und schien noch langsamer zu sein als er mit mir die Stockwerke hoch kroch.

Mit einem leisen Ping öffneten sich die Türen. 

Stille.

"Ave!"

Ein Grinsen huschte über mein Gesicht, ehe ich in eine Wolke aus blumigen Parfum und langen blonden Haare gehüllt wurde. Ich schloss die Arme um sie. 

"Mandy!"

Sie drückte mich, lehnte sich zurück und betrachtete mich besorgt.

"Wie geht es dir?" fragte sie vorsichtig. Ich zuckte die Schultern. "Es geht. In letzter Zeit ist viel passiert, aber um ehrlich zu sein bin ich gerade auf Mission." Ihre Augenbrauen schossen nach oben. "Eine Mission? Weih mich ein!" 

Ich unterdrückte ein Lachen. "Ich glaub, da muss ich selbst durch."

Sie lächelte mir zu. "Es geht um Ethan, oder?" 

Bevor ich nicken konnte, knallte die Bürotür von Mr. Parker auf. Wir zuckten zusammen. Mit wütendem Schritt stürmte Ethans Vater heraus, gefolgt von einem Mann, dessen Gesicht einem der Hauptinvestoren ähnelte. Wir wichen ihnen aus. "Ich kann es nicht fassen", murmelte Parker Senior. Sie liefen zum Aufzug, der noch da war und stiegen ein. Sie sahen aufgebracht aus. Mit einem Brummen, schlossen sich die Türen. 

Wir standen da und sahen uns an. 

"Was war das?" fragte ich leise. 

"Mr. Parker hatte heute Morgen einen Termin mit seinem Vater. Es ist ziemlich laut geworden da drin", flüsterte sie zurück und deutete mit ihrem pink lackiertem Daumen hinter sich. 

In der Tür stand Ethan. 

Mein Mund klappte auf. 

Er sah müde aus und traurig. Seine Augen waren rot als hätte er...geweint? Nein Ethan würde nicht weinen, oder?

Als er mich sah, stockte er. "Avery." Er räusperte sich. "Können wir reden?"

Ich nickte schneller als ich seine Worte verstanden hatte. 

Mandy drückte meine Hand und ich lief zu ihm. 

Jetzt oder nie.

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