39. Kapitel

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Ich lief die Treppen hinunter und ignorierte meine Mutter, die mit einem Geschirrtuch in der Hand jeden meiner Schritte verfolgte. Sie sah aus, als würde sie sich gleich überschwänglich entschuldigen wollen, doch das war das Letzte, was ich jetzt verkraften konnte. Am Liebsten hätte ich meine Sachen gepackt und wäre direkt wieder abgereist.

Die Haustür war angelehnt, der Besucher wartete draußen. Ich fragte mich, wer mich hier und zu dieser Zeit besuchen wollte.

Ich öffnete die Tür und sah Kit. Er schien in Gedanken vertieft zu sein und trat von einem Bein aufs andere. Als ich heraustrat, zuckte er kurz zusammen und lächelte dann nervös. "Hi Ave", sagte er.

"Hey Kit", antwortete ich und zwang mich zu einem müden Lächeln.

"Können wir reden?" fragte er und sah über meine Schulter ins Haus. "Vielleicht hier draußen?"

Ich drehte mich um und sah, dass meine Mutter neugierig im Eingangsflur stand und uns zwei beäugte. Als wir beide zu ihr sahen, nahm sie schnell das Tuch und putzte beschäftigt die Türklinke zur Küche.

Ich seufzte. "Na klar." Mit einem Zug schloss ich die Haustür hinter mir und lief mit Kit auf der Veranda zu den zwei Gartenstühlen. Wir setzten uns. Der Wind war kalt an diesem Tag, also verschränkte ich meine Arme, um mich vor der Kälte zu schützen. Kit stand auf, zog seine dunkle Strickjacke aus und legte sie mir um die Schultern. Ich bedankte mich und beobachtete jede seiner Bewegungen. Ich fragte mich, was er wollte, also sah ich ihn einfach erwartungsvoll an.

Kit aber schien meinen Blick zu meiden, schaute in die Gegend und schien angestrengt nachzudenken. Ich hatte weder Nerven noch Zeit für sowas. "Kit, bitte rück einfach raus mit der Sprache", sagte ich genervter als ich es beabsichtigt hatte.

Er sah zu mir und räusperte sich. "Avery, ich.." er räusperte sich erneut. "Ich hab nicht damit gerechnet, dich wiederzusehen. Nach all der Zeit." Ich grinste und zuckte die Schultern. "Naja, ich hatte zwar nicht vorgehabt, jetzt wieder zurück zu kommen, aber meine Eltern wohnen hier, Kit."

"Ich weiß, ich weiß", erwiderte er und schien nach den richtigen Worten zu suchen. Ich vernahm ein Geräusch vom Haus und drehte mich zur Tür um, doch die schien geschlossen zu sein. "Kit, ich hab gerade echt nicht den Kopf für Geplänkel. Liegt dir was auf dem Herzen?"

Er sah mich an und seine dunkelbraunen Augen sahen so liebevoll aus, dass ich ein Gefühl von Wärme verspürte. Er war lange ein wichtiger Teil meines Lebens gewesen.

"Avery, als ich dich gesehen habe, habe ich gemerkt, dass ich dich immer noch...dass du mir immer noch alles bedeutest. Ich habe so oft an dich gedacht als du weggezogen bist. Ich habe gemerkt, dass da mehr ist als nur jahrelange Freundschaft. Ich weiß, wir haben uns aus den Augen verloren, aber ich habe mich noch nie so öffnen können, wie bei dir. Als ich dich am Bahnhof da stehen sah, wusste ich, dass es Schicksal sein muss. Ich wollte eigentlich auch weg aus der Stadt, aber an dem Tag wollte ich nur noch in deiner Nähe bleiben. Ich wusste, es würde keine andere Frau geben, die solche Gefühle in mir wecken kann. Keine, die mir so wichtig sein würde wie du. Ich muss dumm gewesen sein, das nicht gemerkt zu haben, als du da warst. Aber jetzt stehen wir beide mit beiden Beinen im Leben und ich kann nicht länger warten. Ich will, dass du das weißt."

Mein Mund klappte auf und ich hatte Mühe, ihn wieder ganz zu schließen und nicht komplett überrumpelt zu sein. Die Stille, die sich zwischen uns ausbreitete wurde von Sekunde zu Sekunde unangenehmer. Ich schluckte schwer.

Kit schien seine Worte aber nicht zu bereuen, im Gegenteil, er atmete erleichtert auf und strich sich durch sein dunkles Haar. "Es tut gut, dir das endlich gesagt zu haben", gestand er und grinste verlegen.

In meinem Kopf überschlugen sich die Gedanken und ich fragte mich, ob das hier jemals ein Ende haben würde. Konnte mein Leben nicht etwas angenehmer und reibungsloser verlaufen? Ich sah zu Kit und wusste, was er meinte. Ich hatte mich auch keinem Mann so sehr öffnen können wie ihm. Ich hatte mich noch nie so sicher gefühlt, dass er mich niemals im Stich lassen würde, wenn ich ihn brauchte. Ich wusste auch, dass, egal wie lange wir uns nicht mehr gesehen hatten, es immer so war, als wäre nie Zeit vergangen.

"Kit, ich weiß ehrlich gesagt nicht, was ich darauf sagen kann", antwortete ich leise. "Danke, dass du es mir gesagt hast und so offen bist. Ich schätze das wirklich. Ich weiß genau, was du meinst, mit dem was du gesagt hast. Du bist auch der einzige Mann, bei dem ich wirklich weiß, woran ich immer bin. Und selbst jetzt bist du so ehrlich, das mochte ich schon immer an dir."

Er lächelte und wartete ruhig auf das, was ich noch sagen würde. Ich spürte, dass er mir keineswegs Druck machte, auch nur irgendwie seine Gefühle erwidern zu müssen. Es war angenehm entspannt zwischen uns und ich merkte, wie kompliziert meine letzten beiden Männerkontakte in meinem Leben waren. Ethan war kompliziert und wechselte ständig seine Einstellung zu mir. Und Mike war einfach nur das aufdringlichste Wesen, dass ich mir je angelacht hatte.

"Zur Zeit weiß ich aber gar nicht, was ich fühlen soll, Kit. Ich weiß gar nicht, wo ich stehe und wie es mir geht. Irgendwie ist das Leben auch komplizierter geworden seit ich weggezogen bin", sagte ich. "Geht es dir denn überhaupt gut?" fragte er.

Seit Langem dachte ich über diese Frage länger nach, als es mir selbst vielleicht lieb gewesen wäre. Wie oft antwortete man auf solche fragen mit einem "ja" oder "gut"? Wie oft übergeht man dabei sich selbst? Ich bemerkte, dass ich so vieles mit mir selbst ausmachte, dass es mir nicht mehr gut tat. Ethan war der Erste, der jetzt so gut wie alles wusste, was in den letzten Tagen bei mir los gewesen war und dabei war auch Er ein großer Teil meines Gefühlschaos.

"Ich glaube nicht wirklich", gestand ich schließlich und kaute nervös auf meiner Unterlippe. "Wegen deinem Vater?" fragte Kit, der schon lange wusste, wie kompliziert es immer zwischen mir und ihm gewesen war. Ich schüttelte den Kopf und zuckte gleichzeitig mit den Schultern.

"Auch aber.." Ich überlegte, ob ich es wirklich sagen sollte, doch ich entschied, Kit gegenüber ehrlich zu bleiben. "Aber auch wegen einem Mann, der seit Kurzem in meinem Leben ist."

Kits Augenbrauen schossen in die Höhe, doch er schien nicht sonderlich überrascht zu sein. "Seid ihr ein Paar?" fragte er und ergänzte schnell: "Tut mir leid, eigentlich geht das mich auch gar nichts an."

Ich lächelte. "Du darfst alles fragen und nein, sind wir nicht. Ich glaube auch, dass es besser so ist, denn er ist eigentlich schon in festen Händen."

Ich fühlte mich wie eine Verräterin so über Ethan zu reden, während er im Haus neben uns saß, doch ich wusste, ich hatte nichts Falsches gesagt. Es war schlichtweg die Wahrheit. Mein Bauch kribbelte als ich an unseren Kuss vor wenigen Minuten dachte.

"Dann scheint es wirklich besser zu sein. Ich denke, wer untreu ist, wird diese Eigenschaft nur schwer wieder ablegen können", kommentierte Kit meinen Satz.

Ich nickte zustimmend. "Eigentlich hast du Recht. Es fällt mir nur so schwer, von ihm loszukommen. Ich weiß auch nicht, wieso. Er hat eine Verlobte und außerdem ist er irgendwie unvorhersehbar. Ich weiß nicht, was ich von ihm halten kann."

"Tut mir leid, dass dich jemand in so eine Situation gezogen hat, Ave", sagte Kit und sah mich jetzt mitfühlend an. "Es ist nicht schön in sowas reinzugeraten."

Ich nickte. Nach einer Weile erhob sich Kit. "Ich will dich nicht länger aufhalten. Ich habe auch alles gesagt, was ich dir sagen wollte. Ich bin immer für dich da. Wenn was ist, hast du meine Adresse und Nummer. Wenn du Hilfe brauchst wegen deinem Vater oder ein Ohr zum Reden, ich bin da." Er öffnete seine Arme.

Ich erhob mich und ließ mich an seine Brust fallen. Er war warm. "Danke, Kit. Gib mir einfach ein bisschen Zeit", murmelte ich in seiner Umarmung. "Natürlich, Avery. Ich kann warten."

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