Meine Gedanken wirrten rastlos in meinem Kopf umher. Das Mittagessen hatte mich aufgewühlt. Ich hatte gehofft, wir könnten nun endlich eine entspannte Atmosphäre zwischen uns schaffen. Doch nun war Parker aus meinem Hirn nicht mehr wegzudenken. Unbewusst spulte ich seine Worte wieder und wieder ab. Wenn ich mit jemandem hier aus der Firma ausgehen würde, dann wärst du das. Was genau meinte er nur damit? Ich seufzte auf. Vermutlich war das nur eine Art Kompliment so nach dem Motto: Wenn jemand mich zwingen würde aus dem Büro eine zu daten, dann halt dich. Klar, war das lieb gemeint. Trotzdem würde jemand wie Ethan Parker niemals mit einer Büroangestellten etwas anfangen. Ich schätzte ihn jedenfalls für professionell genug ein, um einen klaren Schnitt zwischen Beruflichem und Privatem zu machen. Wobei.. Meine Gedanken wanderten zurück zu dem Tag als ich in Parkers Büro war und er scheinbar einen geblasen bekommen hatte. Er hatte sich dafür entschuldigt, doch hatte ich mir nie die Frage gestellt, wer es gewesen sein könnte. Was, wenn es Mandy gewesen ist? Bei der Vorstellung zog sich mein Magen auf unerklärlich schmerzhafte Weise zusammen.
Ich überzog eine halbe Stunde, um meine verlorene Zeit von der Mittagspause wieder gut zu machen. Dann fuhr ich den PC runter. Mit einem schnellen Blick, scannte ich mein kleines Büro ab. Für heute war nichts liegen geblieben. Zufrieden zog ich meine Jacke an und hängte mir meine Tasche über die Schulter.
Als ich gerade meine Karte vor dem Aufzug einscannte, um meine Arbeitszeit zu erfassen, hörte ich Schritte hinter mir. Ich lächelte, denn auf solchen Hacken konnte nur eine unterwegs sein. "Hey du, hast auch länger gemacht?" ertönte schon gleich die bekannte Stimme von Mandy hinter mir. Ich drehte mich um. "Ja, wir haben etwas die Mittagspause überzogen", gestand ich. Sie zwinkerte mir viel sagend zu. "Parker und Du soso." Ich schnaubte, um ihr zu signalisieren, wie abwegig dieser Gedanke doch war. Der Aufzug kommentierte die Szene mit einem kurzen Ton und öffnete uns die Türen zum Feierabend. Wir traten beide ein. Mandy wählte die Taste zum Erdgeschoss. "Wie war's denn so?" fragte sie neugierig und ich konnte sehen, wie sie in meinem Blick nach etwas suchte, was ihr von selbst die Antwort geben könnte. "Naja so wie es eben ist mit Ethan Parker Essen zu gehen", gab ich zurück und grinste sie an. "Nicht genug!" flötete sie und stieß mir spielerisch in die Seite. "Komm schon, fütter mich mit ein bisschen Information und Details!"
Ich rollte die Augen. "Mandy, gerade du müsstest doch wissen wie es ist mit ihm Essen zu gehen", erwiderte ich. Ihre Augen weiteten sich etwas, dann verstand sie. "Bist - Warst du eifersüchtig?" fragte sie. Ihre Stimme klang ehrlich betroffen. Ich überlegte. Vermutlich eine Sekunde zu lange, denn sie schaltete sich erneut ein. "Avery?" Ich sah sie direkt an. "Hast du Parker einen geblasen?" fragte ich sie. Erschrocken über meine direkten Worte, schlug ich mir die Hände vor den Mund. "Sorry."
Mandy grinste. "Nein", sagte sie. Ich starrte auf meine Schuhe. "Du hast ihn erwischt?" hakte sie nach. "Wann und Wo und Wie?" sprudelten ihr die Fragewörter heraus, als hätte sie die Aufgabe bekommen, möglichst viele W-Fragen zu stellen. "Ein paar Wochen her. Ziemlich am Anfang, als er der neue Chef war", gestand ich.
Der Aufzug meldete sich erneut und öffnete seine Türen in die geräumige Eingangshalle des Gebäudes. Wir durchquerten sie, während ich mich bemühte meiner Kollegin möglichst leise die Situation zu schildern. Sie schüttelte nur den Kopf, als ich fertig war. Wir beide standen nun auf dem Bürgersteig. Die kühle Abendluft umhüllte uns sofort. Sobald die Sonne weg war, entblößte die Luft ihre wahre Kälte. "Ich kann es nicht glauben, wie unschuldig du bist, Avery", kommentierte sie amüsiert und zückte ihr Handy. "Magst du dir ein Taxi teilen?" fragte sie, während sie es sich schließlich ans Ohr hielt, auf die Zentrale wartend. Ich überlegte kurz und nickte zustimmend.
Während unserer Heimfahrt erzählte mir Mandy, wie ihr aufgefallen war, dass Tom der egoistischste und selbstverliebteste Mann gewesen war, den sie jemals gedatet hatte. Ich konnte dem nur zustimmen. Seine Art war einfach nur abstoßend und selbst jetzt im Nachhinein konnte ich mir nicht erklären, wieso gerade Cat mit ihm zusammen gekommen war.
Wir verabschiedeten uns schließlich. Ich trat in die Kälte hinaus und drückte Mandy einen Schein in die Hand, der in etwa die Hälfte der Taxifahrt betrug. Sie wollte abwinken, doch ich hatte bereits mit einem Grinsen die Tür zugeschlagen und sah dem gelben Auto hinterher. Ich hasste Schulden oder das Gefühl in Abhängigkeit zu stehen. Erinnerungen aus der Kindheit stiegen in mir auf. Wie Rauchschwaden hüllten sie mich für einen Moment in Dunkelheit. Ich schüttelte den Kopf, als könnte ich sie dadurch abwimmeln.
"Hey Ave", ertönte eine Stimme neben mir. Ich hatte niemanden kommen gehört und fuhr erschrocken beiseite. Vor mir stand Mike. Seine Haut war fahl, die Augen kühl, darunter dunkle Ringe. Ich fasste mir mit einer Hand auf mein pochendes Herz. "Was machst du hier?" fragte ich leise, noch immer im Versuch meinen Atem zu beruhigen. "Ich wollte mich bedanken", antwortete er. Sein Blick war so leer, dass ich mich fragte, ob er mich überhaupt ansah. Ich nickte und musterte seine Kleidung. Sie sah ungewaschen aus und ich fragte mich unwillkürlich, wann er wohl das letzte mal geduscht hatte.
Er folgte meinem Blick an sich herab. In seinen Augen rührte sich Scham und er strich sein Shirt unter der Lederjacke glatt. "Ich weiß, ich seh schrecklich aus", schnaubte er. Instinktiv wollte ich ihm widersprechen, doch er hatte es auf den Punkt getroffen. Er sah schrecklich aus. Sowohl sein Äußeres als auch der Ausdruck seines Inneren.
"Was ist passiert?" fragte ich schließlich. Die Antwort dazu interessierte mich seit dem Moment als ich ihn aus dem Teasers geschleppt hatte. Er zuckte schwach mit den Schultern. "Ist egal", murmelte er und kickte einen unsichtbaren Stein von sich weg. "Was ist passiert?" fragte ich erneut. Mir war seine kühle Art egal. Ich wollte wissen, was einen so aufgeräumten Kerl so dermaßen aus der Fassung reißen konnte.
"Scheiß drauf, Avery! Tu nicht so als hättest du daran keinen Anteil gehabt!" maulte er und sah mich wütend an. Ich fühlte einen kleinen Stich, an der Stelle, an der auch ich mir die Schuld für seinen Aussetzer gegeben hatte. Doch Mandy und Cat hatten Recht gehabt. Ich hatte das Richtige getan und war nicht für sein Leben verantwortlich. Außerdem war es ja nicht so als wären wir jahrelang zusammen gewesen. Im Gegenteil. "Weißt du was Mike? Dann scheiß ich drauf. Ich bin nicht Schuld für.." Ich deutete mit einer Handbewegung auf ihn "..all das."
Er schnaubte. Eine Weile standen wir so da. Er blickte wütend auf den Boden, ich auf ihn. "Ich geh hoch", verkündete ich schließlich. "Warte", sagte Mike. Ich betrachtete ihn aufmerksam. "Du hast Recht. Du hast keine Schuld." Überrascht über seine plötzliche Wende zog ich die Augenbrauen hoch. "Ich denke, ich war zu lange in diesem" Er machte mit seinen Händen Anführungszeichen in die Luft "perfektem Leben gefangen."
"Dann musstest du dich gleich aus der Welt schießen?" fragte ich. Er grinste. Es war ein schwaches, erschöpftes Grinsen, aber dennoch aufrichtig. "Ja, kann man so sagen."
"Pass auf dich auf, Mike." Er sah mich an. "Avery, ich liebe dich!" Ich wollte gerade etwas erwidern, dem entgegensetzen, doch er unterbrach mich mit einer Handbewegung. "Du musst darauf nichts sagen. Ich werde um dich kämpfen!" Er richtete sich auf wie ein Krieger, bereit in die Schlacht zu ziehen. "Ich habe mich bereits um einen neuen Job beworben. Ich hole mir eine eigene Wohnung, kriege mich wieder auf die Reihe und dann...dann werde ich um dich kämpfen!"
Er lächelte mich halb verunsichert und halb selbstsicher an. Wie ein kleines Kind, das Lob erwartete. Ich schüttelte den Kopf. "Nein, nein, nein!" entgegnete ich frustriert. Das Kapitel 'Mike' in meinem Leben hätte ich am Liebsten nie aufgeschlagen. Wenn das hier ein Buch wäre, würde ich es spätestens jetzt in die Ecke schmeißen.
Er lächelte wissend und drehte sich um. Beide Arme in die Höhe gereckt als wäre er ein Rockstar. "ICH LIEBE DICH AVERY BROWN", schrie er in den Nachthimmel.
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My Babe
ChickLitAvery Brown lebt ein unscheinbares Leben. Mit 21 Jahren hat sie zwar einen guten Job, eine tolle Wohnung mit ihrer besten Freundin und genug Geld, um das Leben zu genießen, doch ein entscheidender Punkt fehlt ihr: die Liebe. Dass sich ihr beschaulic...