Die nächsten Tage in der Arbeit verliefen ruhig. Ich hatte meine Zusage für die Geschäftsreise bereits in das Fach von Mister Parker gelegt. Mandy war ganz außer sich, die - als seine Sekretärin - alles bearbeiten und planen musste. "Du wirst mit Ethan Parker eine Woche von früh bis spät zusammen sein!" hatte sie bemerkt und mir geheimnisvoll zugezwinkert. "Soll ich euch ein Doppelzimmer buchen?" Mit diesen Worten war sie aus meinem Büro verschwunden.Tatsächlich beschäftigte mich diese Reise mehr als ich zugeben wollte. Ich wusste nicht, ob es daran lag, dass Mister Parker mitfahren würde oder dass es meine erste Geschäftsreise war. Ich redete mir ein, dass Letzteres der Fall war. Die Aufregung würde verfliegen, sobald wir angekommen waren und das erste Meeting stattfinden würde.
Als ich am Freitag Nachmittag nach Hause kam, saßen Cat und Sam auf der Couch. Ich konnte ihr aufgeregtes Reden schon vom Flur aus hören. "Hallo?" rief ich und hörte, wie es augenblicklich verstummte. Ich grinste. "Hi!" kam es dann schließlich von meiner Mitbewohnerin Cathlyn. Ich entledigte mich meiner Schuhe und der Jacke und lief zum Wohnzimmer. Die beiden flüsterten und fuhren schnell auseinander, als sie mich vor dem Sofa stehen sahen. Ich zog die Augenbrauen zusammen. "Alles klar bei euch?" fragte ich verwundert. Ihr Verhalten irritierte mich. Sam sah mich nur mit großen Augen an, während Cat eifrig nickte und aufstand, um mich in eine innige Umarmung zu ziehen. "Wie war die Arbeit?" fragte sie und deutete ohne eine Antwort abzuwarten hinter sich auf Sam. "Ihr kennt euch noch oder?" Ich lächelte ihm zu und hob eine Hand als Geste zur Begrüßung. Er lächelte zurück. "Natürlich. Du warst doch die Freundin von Mike.."- "Psst!" zischte Cat in seine Richtung. Augenblicklich verstummte er. Sie drehte sich wieder zu mir. "Sam und du habt euch in der Bar kennen gelernt", erklärte sie hastig und drückte mich am Arm Richtung Küche. "Ich hab was zu Essen gemacht." Im ersten Moment war ich zu perplex, um Widerstand zu leisten, doch dann löste ich mich aus meiner Starre. "Ihr benehmt euch komisch", stellte ich trotzig fest und befreite mich aus Cats Versuchen, mich in Richtung Essen zu schieben. "Kennst du Mike?" schlussfolgerte ich fragend an Sam. Er wich meinem Blick aus und sah zu meiner Freundin, als wäre sie die Hüterin seiner Worte. "Nein", sagte sie schnell und korrigierte sich dann selbst. "Ja, er kennt ihn." Ich hob unschuldig die Hände. "Und was ist so schlimm daran, dass Sam meinen Ex-Freund kennt?" fragte ich. Beide wechselten wieder einen Blick, der wahrscheinlich als Art Gedankenübertragung funktionieren sollte. Cat seufzte und ich spürte, dass da mehr dahinter war. Sie holte tief Luft und deutete auf die Couch. "Setz dich." Ich sah sie an und dann zu Sam. Hoffte, aus ihren Gesichtern lesen zu können. Doch beide sahen einfach nur besorgt und angespannt aus. Ich lief zu Sam und ließ mich neben ihm auf das Sofa fallen. Im Geiste ging ich alle Möglichkeiten durch, doch mir wollte nichts einfallen. Cat setzte sich auf die andere Seite von Sam, sodass er damit die Mitte bildete. "Alsooo", setzte sie an und hielt nochmal inne, um zu überlegen, wie sie am besten starten sollte. "Sam ist Mikes Bruder." Unwillkürlich musterte ich Sam und suchte nach Ähnlichkeiten. Weder Haut, Haare noch Augen waren gleich, geschweige denn ihre Gesichtszüge. Ich holte Luft, um etwas zu erwidern, doch da beantwortete Sam schon gleich selbst meine Frage mit einem Wort: "Adopitvbruder." Ich nickte, dass ich verstanden hatte und bedeutete Cat weiter zu reden. "Jedenfalls hat Sam mir heute erzählt, dass Mike gekündigt hat." Ich sog scharf die Luft ein. Hat Mike wirklich wegen mir gekündigt? Ich spürte, wie ein schlechtes Gewissen in mir aufkam. "Aber warum?" flüsterte ich mehr zu mir selbst als zu den beiden. "Er ist total am Boden", schaltete sich nun Sam ein und ich spürte, wie ein Vorwurf mir gegenüber in seiner Stimme lag. "Er hat Mary verloren. Natürlich war das gut, weil sie ihn eh betrogen hat, aber.." Er hielt inne und sah mich an. "Er hat auch dich direkt danach verloren." Ich schluckte. "Aber wir waren nie wirklich zusammen. Natürlich schon irgendwie, aber das ging alles so schnell, dass wir nicht in die Tiefe gehen konnten. Wenn man es so nimmt, dann kannten wir uns ja nicht mal wirklich. Und die Dauer unserer Beziehung beläuft sich auf gerade mal einen ganzen Tag." Sam nickte verständnisvoll und der Vorwurf wich aus seinen Augen. "Da stimme ich dir total zu", sagte er. "Aber Mike hat sich da total rein gesteigert." Cat nickte, als wolle sie seine gesagten Worte unterstreichen. "Er...", seine Stimme brach ab und er blinzelte angestrengt mit dem Blick auf seine Hände gerichtet. Cathlyn legte eine Hand auf seine und ergriff das Wort: "Er hat sich in den letzten Tagen komplett zugesoffen und so ziemlich alles eingeworfen, was er finden konnte." Es brauchte ein paar Sekunden, ehe ich begriff. Jetzt verstand ich, warum ich ihn Anfang der Woche das letzte mal in der Firma gesehen hatte. Ich dachte, er war mir aus dem Weg gegangen, doch anscheinend war er gar nicht erst in der Arbeit. „Das tut mir leid", sagte ich langsam und sah Sam an. Er ließ die Luft aus seiner Lunge entweichen als würde er damit die ganzen Sorgen um seinen Bruder loslassen können. „Du kannst ja nichts dafür. Du bist ein Faktor von vielen." Ich dachte an den ersten Tag, an dem ich Mike kennen gelernt habe. Er wirkte immer so aufgeräumt und gepflegt. Irgendwie so als hätte er sein Leben komplett im Griff. Es fiel mir schwer, mir einen Mike vorzustellen, der Drogen nahm und sich am helligtem Tag betrank. „Wo ist er zur Zeit? Ich nehme mal an nicht bei Mary", sagte ich in die bedrückte Stille hinein. „Nein, er hat sich ein Zimmer im Motel außerhalb der Stadt gemietet. Nicht mal mich hat er rein gelassen. Aber eigentlich.." Sam stockte. „Könntest du vielleicht mal mit ihm reden? Ich bin mir sicher, dir würde er zuhören." erwartungsvoll sah er mich an. Seine vorher so betrübten Augen hatten auf einmal einen Hoffnungsschimmer. Ich konnte nicht anders. „Ja, natürlich!" hörte ich mich sagen. Am liebsten hätte ich mir auf die Zunge gebissen, doch nun hatte Sam wieder ein Lächeln im Gesicht und ich konnte den Drang zu helfen nicht unterdrücken.
Sam bedankte sich und gab mir die Adresse von Mikes Unterkunft, damit ich ihn finden konnte. Ich lief in mein Zimmer, um ihn und Cat noch etwas unter sich zu lassen.
Kaum hatte ich die Tür hinter mir geschlossen, vibrierte mein Handy. Eine neue E-Mail mit dem Betreff „Fortbildung & Meetings". Ich öffnete sie. Mein Herz schlug höher. Alle Infos zur Geschäftsreise waren darin enthalten. Übernächste Woche sollte es schon losgehen. Ich checkte die Teilnehmer und stellte überrascht fest, dass wir zu viert waren. Ungläubig las ich die Namen durch. Wäre das nicht von der Arbeit aus, so könnte man meinen wir würden gemeinsam einen Pärchen-Urlaub machen. Außer Mister Parker und mir waren noch John aus der PR- sowie Clara aus der Marketingabteilung dabei. Ich ertappte mich, wie ich mir vorstellte, mit Ethan Parker ein Zimmer zu teilen. Obwohl ich sogleich den Gedanken verdrängte, musste ich mir zugestehen, dass wir mehr oder weniger schon mal eine Nacht gemeinsam verbracht hatten. Auch wenn ich davon nicht viel mitbekommen hatte, dem übermäßigen Alkoholkonsum verschuldet. Die Erinnerung lenkte meine Gedanken sofort wieder zu Mike. Am besten, ich würde ihn heute noch besuchen. Besser früher als später, dachte ich mir. Ich sah auf die Uhr. 16 Uhr. Ich beschloss, gleich loszufahren, um noch vor Abenddämmerung wieder zuhause zu sein. Wer weiß, welche Gestalten sich in einem Motel außerhalb der Stadt so rumtreiben.
DU LIEST GERADE
My Babe
ChickLitAvery Brown lebt ein unscheinbares Leben. Mit 21 Jahren hat sie zwar einen guten Job, eine tolle Wohnung mit ihrer besten Freundin und genug Geld, um das Leben zu genießen, doch ein entscheidender Punkt fehlt ihr: die Liebe. Dass sich ihr beschaulic...