Mir wurde vorsichtig über die Wange gestrichen, während immer wieder gesagt wurde: „Welpe, Zeit aufzustehen." Als ich nach der dritten Wiederholung des Satzes noch immer nicht die Augen auf hatte, wurde die Hand von einer Hundenase abgelöst. Noch zweimal wurde ich angestupst, dann wurde mir einmal über die Wange geleckt.
Mit einem überaus unzufriedenen Grummeln gab ich dem Druck nach und öffnete die Augen. Daher sah ich auch die ziemlich amüsante Szene, welche sich genau vor mir abspielte. Sirius kniete vor meiner Bettseite. Auf seinem Schoß saß Antiope, die Vorderpfoten waren allerdings auf der Bettkante abgelegt worden. Die Schnauze lag nur wenige Zentimeter von meiner Nase entfernt. Mein Vater stützte sich mit den Unterarmen rechts und links von dem braunen Wuschelhund auf die Matratze ab. Sein Kopf war nur wenige Zentimeter über den von meinem Haustier. Beide sahen mich neugierig an.
„Guten Abend, mein süßer kleiner Teeniewelpe." Ich bekam einen schlapprigen Hundekuss auf die Nase, dicht gefolgt von einem auf die Schläfe von Sirius.
Im nächsten Moment wurde der Griff um meinen Bauch ein wenig fester. Marlon hatte schon die ganze Zeit von hinten einen Arm um diesen geschlungen. Jetzt allerdings setzte er sich etwas auf, um sich über mich zu beugen und mir einen Kuss auf die Wange zu drücken.
„Zeit fürs Abendessen", teilte mir Marlon mit, was ich mit einem leisen Seufzen kommentierte.
„Hast du denn etwas gefunden, Sirius?", fragte ich an meinen Vater gewandt, weshalb Marlon uns beide ziemlich verwirrt ansah. Verständlicherweise schließlich hatte er meine Suche einfach verschlafen.
„Nein, leider nicht. Deine kleine Tasha muss die Botschaft ziemlich gut versteckt haben, wenn es eine gibt. Wir gucken wie versprochen nach dem Abendessen zusammen durch", versprach mir Sirius und strich mir noch einmal über den Kopf.
Ich seufzte wieder leise. Jetzt sofort wäre mehr in meinem Interesse. Doch genauso wie ich schon bei der letzten Diskussion untergegangen war, so würde ich es auch jetzt wieder tun.
„Sie glaubt, in der Akte ist irgendwo eine versteckte Nachricht von Natasha, in der diese ihren Aufenthaltsort verrät", erklärte Sirius an Marlon gewandt.
„Ich glaube es nicht nur, ich bin mir absolut sicher", rief ich.
„Wir werden es herausfinden, Welpe", versprach mein Onkel ebenfalls. „Aber jetzt gehen wir erstmal Essen. Mit gefüllten Mägen kann man viel besser nachdenken." Marlon stand von seinem Platz auf und sah mich auffordernd an. Mit einem weiteren leisen unzufriedenen Seufzen befreite ich mich von meiner Decke, um mit ihm und meinem Vater zum Speisesaal zu gehen.Ungeduldig spielte ich mit meinem Speisemesser herum. Ich hatte meinen Teller schon leergegessen, weshalb ich jetzt ziemlich ungeduldig darauf wartete, dass Marlon und Sirius es endlich auch taten. Am liebsten würde ich sofort aufspringen, um endlich diese Akte ein weiteres Mal zu lesen. Meine beiden Väter schienen sich allerdings viel lieber die Bäuche vollschlagen zu wollen.
Grummelig sah ich erneut auf den Teller von Sirius, welcher noch immer viel zu voll war. Der Flüchtige bemerkte meinen Blick, weshalb er auf die wirklich blöde Idee kam, seine Gabel bei Seite zu legen und vorsichtig nach meiner Hand mit meinem aktuellen Spielzeug zu greifen.
„Welpe, es wird alles gut werden. Wir werden Natasha finden. Jetzt lege das Messer weg. Das ist kein Spielzeug. Alle anderen Messer oder jegliche Form von Waffen im übrigen auch nicht. Es wird alles gut werden." Sirius hielt mir auffordernd seine Hand hin, weshalb ich ihm ziemlich widerwillig mein Besteck gab.
„Wenn du mir jetzt schon einmal –", fing ich an, um die Akte über den Brand zu betteln.
„Welpe, ich weiß, du bist ziemlich nervös, weil wir Natasha noch immer nicht gefunden haben, aber so mache ich mir Sorgen um dich. Du hast jetzt kaum etwas gegessen und geschlafen hast du auch nicht durch. Ich will nicht, dass du dich wieder vollkommen zurückziehst. Also atme noch einmal tief durch und iss noch etwas. Wie wäre es, wenn du Jessica über die DDR ausfragst", schlug Sirius vor und zeigte auf die aktuelle Nymphe von Apollon.
Die junge Frau war ungefähr im Alter von Elaina, Rachel und Azura. Daher war es auch nicht verwunderlich, dass die vier Mädchen und Jessicas ein Jahr jüngere Schwester Cecilia ihre Köpfe zusammengesteckt hatten. Obwohl die beiden Deutschen nur ein ziemlich brüchiges Englisch mit starkem Akzent sprachen, hielt es sie nicht davon ab, schon das gesamte Abendessen mit meinen Verwandten zu plaudern. Immer wieder fingen sie an, zu lachen. Dabei warf Jessica ihre gold-blonden Haare zurück, legte ihren Kopf immer leicht in den Nacken, während sie ein wunderschönes strahlendes Lachen von sich gab, welches den ganzen Raum erfüllte und zumindest bei mir ein warmes Gefühl hinterließ. Fast als würden Sonnenstrahlen überall auf meine Haut strahlen und sie somit erwärmen.
Cecilias Lachen war genau das Gegenteil von dem ihrer großen Schwester. Es löste in mir nicht das Gefühl aus, tausende Sonnenstrahlen würden gleichzeitig auf meine Haut treffen, um diese in eine wunderbare Wärme zu hüllen. Das Lachen wirkte auch nicht kalt, wie es bei mir oft wirkte, jedenfalls meiner Meinung nach, sondern irgendwie – ich würde es als zurückhaltend beschreiben. Eher ein leises schüchternes Kichern, als ein wirkliches Lachen. Genau das Gegenteil ihrer offenen und fröhlichen großen Schwester. Genauso wie Kira und ich es waren.
Diese Gegensätzlichkeiten wurden auch noch durch ihr Aussehen unterstrichen. Cecilia wirkte ein wenig wie der dunkle Zwilling ihrer älteren Schwester. Sie war die Nacht, Jessica die Sonne. Die Gesichter der beiden waren sehr ähnlich, fast schon identisch, doch gerade ihr Haarfarbe unterstrich den Eindruck von Licht und Dunkelheit, Sonne und Nacht. Die Nymphe von Apollon hatte diese wunderschönen Gold-Blonden, während ihre jüngere Schwester dunkelbraune fast schon schwarze hatte.
„Sie ist beschäftigt", stellte ich leise fest und begann, mit meinen Fingern Kreise auf den Tisch zu ziehen. Wenn ich schon nicht mit Messern oder anderen Waffen spielen durfte, musste ich halt auf diese Art und Weise meine Nervosität abbauen.
„Jessica hat bestimmt keine Lust, mir etwas über eine Diktatur zu erzählen, die jahrelang ihr Land in zwei Hälften geteilt hat. Die meisten Leute mögen es nicht, über solche Dinge zu reden", fügte ich noch hinzu.
Sirius legte anstelle einer Antwort seine Gabel bei Seite und drückte mir unsicher einen Kuss auf den Haaransatz. Automatisch drückte ich mich an ihn. Reichten denn nicht meine leibliche und meine Adoptivfamilie aus? Musste ich mich jetzt wirklich noch mit anderen Nymphen anfreunden. Meine Beziehungsbaustelle lag bei Blaise, nicht bei irgendwelchen anderen olympischen Nymphen. Meine Aufgabe war ihr Schutz, nicht ihre Freundin zu werden. Jedenfalls hatte ich es bisher immer so verstanden.
„Das wird alles, Welpe. Du wirst schon sehen", versprach mir Sirius. „Lass Marlon und mich noch in Ruhe aufessen, dann setzen wir uns zusammen in die Bibliothek und durchsuchen die Akte nach der Geheimbotschaft von Natasha. Versprochen, Welpe."
„Darf ich auf deinen Schoß kommen?", fragte ich unsicher.
„Natürlich, komm her." Sirius rückte ein wenig vom Tisch weg, damit ich meinen Platz wechseln konnte. Kaum hatte ich es mir bei ihm gemütlich gemacht, wurde mir auch die Gabel mit Sirius aktuellen Gericht hingehalten. „Und probiere mal diese Blätterteigtasche. Die schmeckt hervorragend."
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Hexagramm - Löwenmut
FanfictionDreizehn Nymphen auf der Erde, zwölf in der Zwischenwelt, drei Prophezeiungen über sie. Der dunkle Lord ist wiedergekehrt. Diese Nachricht hängt wie ein Damokles-Schwert über Patricia. Noch immer nagt an ihr, dass der dunkle Lord glaubt, sie würde s...